Alois Flatz Der Bergbauern-Sohn entwickelte einst den ersten Nachhaltigkeits-Index der Welt. Heute erteilt er dem ESG-Hype eine Absage.
Seine Dissertation an der Uni St. Gallen schrieb Alois Flatz über Kreislaufwirtschaft am Beispiel von Verpackungsrücknahmen. Ihr Sohn schreibe über «Müll», bemerkte Flatz’ Mutter damals träf. Das war Mitte der Neunziger Jahre, als die hiesigen Banken die Steuerhinterziehung noch als Geschäftsmodell verstanden und gerade damit beschäftigt waren, nachrichtenlose Vermögen aus dem Zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen. Trotz dieses ersten «Tolggen» im Swiss-Banking-Reinheft zog es die meisten seiner St. Galler Kommilitonen nach dem Eliteuni-Abschluss in die Finanzwirtschaft, erinnert sich Flatz:
«Die gingen entweder zu einer Investmentbank oder in die Wirtschaftsberatung. Oder sie befeuerten mit hochtrabenden Business Plänen die New-Economy-Blase».
ESG existiert noch gar nicht
Flatz, der beim VWL-Professor und Wachstumskritiker Hans-Christoph Binswanger promoviert hatte, lockte nicht das schnelle Geld. Ihn trieb vielmehr das «sinngebende Element» an, wie er rückblickend sagt. Dabei dürfte seine Jugend, als Ältestestes von sechs Kindern, auf einem Bauernbetrieb im Bregenzerwald, prägend gewesen sein. «Wir lebten nah an der Natur, und an deren Kreisläufen.» Statt bei McKinsey oder der UBS anzuheuern, bewarb sich Flatz auf eine Jobannonce, die er in der NZZ gesehen hatte: Das Inserat stammte von einer Zürcher Jungfirma namens Sustainable Asset Management. SAM war kurz zuvor von zwei ehemaligen Vontobel-Bankern gegründet worden und setzte auf nachhaltige Investment zu einem Zeitpunkt, als das «Buzzword» ESG noch gar nicht existierte.
Nachhaltige Investments hatten damals eher den Makel des Verschrobenen, ja gar des Abseitigen. Flatz erinnert sich, dass ihn ein österreichischer Bankchef, der Vater eines engen HSG-Freundes, anrief und ihm entgeistert erklärte: Mit so prestigeträchtigen Abschlüssen gehe man doch nicht zu einer «grünen Bank». Flatz hielt trotzdem am Job fest und baute für SAM hernach den gesamten Investment-Prozess und das Anlage-Research auf.
Schweizer Börse gibt Alois Flatz einen Korb
Was SAM jedoch fehlte war ein passender Benchmark-Index. Denn deren nachhaltige Anlage-Portefeuilles wurden stets an den gängigen Indices gemessen wie dem MSCI World. So kamen wir auf die Idee, einen eigenen Index zu entwickeln, erinnert sich Flatz. Ein harziger Weg stand bevor. «Die Schweizer Börse SIX interessierte sich nicht dafür, die EuroStoxx auch nicht.» Aber immerhin kam der Kontakt zu Dow Jones zustande. Flatz flog zum ersten Mal im Leben nach New York und präsentierte im Big Apple seinen Nachhaltigkeitsindex. Die Idee: Aus jeder Branche und jedem Sektor sollten die zehn Prozent Besten aus dem Dow Jones Index vertreten sein, der die 2’500 grössten Firmen der Welt umfasst. Die Kriterien sollten ökologische, aber auch soziale Aspekte wie Human Ressource Management berücksichtigen, was damals eine Novität war.
Doch wie fand Flatz überhaupt heraus, welches die nachhaltigsten Unternehmen im Dow Jones Index waren? Die Geschäftsberichte waren damals nämlich noch fast pure Finanzabschlüsse. Auch das Internet steckte noch in den Kinderschuhen. «Wir haben alle 2500 Firmen per Post mit einem Fragebogen angeschrieben und hofften auf Rücklauf», sagt Flatz lachend. Je nach Weltregion fiel das Feedback unterschiedlich aus. Vor allem in Asien musste er Nachhaltigkeit als Thema den angefragten Firmen überhaupt zuerst erklären.
Auch Dow Jones hatte zunächst Bedenken wegen dem Nachhaltigkeitsindex. «Sie wollten sicher sein, dass unser Bewertungsprozess, unser Scoring auch wirklich empirisch nachvollziehbar ist und liessen es durch einen Wirtschaftsprüfer checken», erinnert sich Flatz. Denn Dow Jones war zu jener Zeit auch die Herausgeberin des Wall Street Journals und fürchtete sich vor möglichen Inserate-Boykotten, sollten sich einzelne Grosskonzerne abgestraft fühlen.
Enorme Visibilität
Nachdem auch diese Bedenken ausgeräumt waren, wurde im September 1999 der Dow Jones Sustainability Index lanciert. Ein Joint Venture des grossen Dow Jones mit der kleinen SAM. Der Index habe dem Zürcher Startup eine «enorme Visibilität» gegeben, sagt Flatz im Rückblick. Aber auch die indexierten Firmen merkten rasch, dass ein eine Aufnahme in den Index geldwert ist. So fingen Firmen wie BP oder Shell an, sich das «DJSI-Leader-Logo» möglichst visibel anzuheften.
Obwohl Index-Erfinder Flatz wohl einer jener Exponenten ist, welche die ESG-Welle ins Rollen gebracht hat, steht er der Entwicklung inzwischen kritisch gegenüber: Die Banken würden darin vor allem eine Chance sehen, neue Produkte zu verkaufen. «Auch bei ESG geht es in erster Linie um die Rendite. Danach bastle ich mir eine grüne Story». Er sieht denn aktuell auch «Peak Green Washing» erreicht.
Alois Flatz sieht gigantische Chancen
Natürlich sei es grundsätzlich positiv, dass derzeit so viel Kapital nachhaltige Finanzprodukte fliesse. Aber: 25 Jahre ESG-Investments hättten gezeigt, dass wir damit den Klimawandel damit nicht aufhalten werden, so Flatz: «Wir müssen ganz anders denken. Im gleichen Trott geht es nicht weiter». Ein Beispiel: Was nütze es, wenn zwar der Durchschnittsverbrauch pro Fahrzeug sinke, aber es immer mehr Fahrzeuge auf den Strassen gebe?
Mehr Effizienz reiche eben nicht, gefragt seien Ansätze fürs Lösen konkreter Probleme, findet Flatz. Und das wohl drängendste Problem ist dabei klar umrissen. «Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel von Paris erreichen wollen, dann müssen wir den schädlichen Klimagas-Ausstoss um etwa die Hälfte reduzieren bis 2030, also in achteinhalb Jahren». Das gehe entweder über Verbote oder über den Preis. Für Nachhaltigskeitsexperten ist die Antwort klar: CO2-Emissionen zu besteuern, sei der effizienteste Ansatz. Mit den richtigen Preismechanismen erhielte die Wirtschaft rasch Anreize, klimafreundliche Lösungen zu entwickeln. Trotz der akuten Herausforderungen fürs Weltklima bleibt deshalb Flatz Optimist: «Die Chancen der Transformation sind gigantisch».
Bauteile mit berechnetem Klimaabdruck
Sein Optimismus speist sich nicht zuletzt aus dem eigenen Engagement als Investor und Berater von Jungunternehmen. Dabei engagiert sich Flatz nur in Startups, die Lösungen mit einem direkten «Impact» aufs Klima haben. Als Beispiel nennt er Zürcher Startup Fision, das letzten Herbst vom E-Fashion-Giganten Zalando übernommen wurden. Dank der 3D-Technologie von Fision mit ihrer virtuellen Umkleidekabine kann Zalando die klimaschädlichen Retouren reduzieren. Diesen Klima-Effekt hat Flatz auch bei seinem Engagement für Inyova, dem Zürcher Impact-Investor, oder Crate.io, dem Vorarlberger Deep-Tech-Unternehmen. Flatz’ jüngstes Mandat ist eine Wiener Software-Firma namens Tset, die eine CAD-Plattform für die Autozuliefer-Industrie entwickelt hat. Das Programm errechnet exakt die Kosten für ein Bauteil, das darauf entwickelt wird.
Das bedeutet: Bereits auf der Designstufe lassen sich kostengünstigere Lösungen entwickeln. Gleichzeitig ermittelt die Tset-Software automatisch die CO2-Emission pro Bauteil. Das Beispiel ist idealtypische Impact-Lösung, für das, was Flatz schon vor zwanzig Jahren(!) in einem Interview zum «Auto der Zukunft» sagte: «Die Mobilität muss sich vom Menschen her ändern, aber auch die Autokonzerne müssen reagieren.» Nur so lasse sich der Ausstoss von CO2 reduzieren.