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Thierry Kneissler – Der Aussteiger

Thierry Kneissler Der Gründer von Twint arbeitet mittlerweile als Strategieberater. Er erklärt, warum die Banken im Digitalgeschäft zögerlich sind.

Die Welt verändert sich gerade radikal, lautet der erste Satz von Thierry Kneisslers Covid-19-Paper «mit Blick auf die Schweiz». Er verfasste die 32-seitige Strategie-Schrift samt konkreten Handlungsempfehlungen im April letzten Jahres, mitten im ersten Lockdown der Pandemie. Der Königsweg bedeute Impfung, doch das gehe noch «zwölf bis 18 Monate», schrieb er damals und sollte mit seiner Prognose Recht behalten. Inzwischen zeigt die Impfkampagne auch in der Schweiz Wirkung.

Doch längst hat Corona unsere Alltagsgewohnheiten nachhaltig verändert. Auch in Kneisslers eigentlicher Paradedisziplin, dem Zahlungsverkehr. So erlebt das elektronische Zahlen seit Corona einen regelrechten Boom. «Wir haben in einem Jahr eine Entwicklung durchgemacht, die sonst fünf Jahre gedauert hätte», sagt der Mitgründer und frühere Chef des Zahlungssystems Twint. Thierry Kneissler ist überzeugt: Viele Leute haben sich mit dem elektronischen Bezahlen angefreundet und werden die neuen Verhaltensmuster beibehalten.

Thierry Kneissler ist kritisch mit der eigenen Zunft

Der studierte Volkswirtschafter muss es wissen. Hat er doch 2018 eine klassische Bankerkarriere, zuletzt als Twint-Chef, an den Nagel gehängt und arbeitet seither als selbstständiger Strategieberater und Multi-Verwaltungsrat. Dabei zeigt sich der Ex-Finanzmann durchaus kritisch mit seiner angestammten Zunft und deren Digitalisierungsmühen. Obwohl die Finanzbranche nicht müde wird zu betonen, wie wichtig den Bankkunden der persönliche Kontakt sei, ist für ihn klar: «80 Prozent dessen, was eine Bank anbietet, kann ich gut online machen.» Doch Kneissler ist mitnichten ein Digital-Fundamentalist. «Die Maschine kann nicht alles.» So gebe es durchaus komplexe Finanzbedürfnisse, bei denen er gerne mit einem Menschen rede. Zum Beispiel in der Altersvorsorge. Ein Thema, das im jährlichen Sorgenbarometer der Credit Suisse stets die Topplätze belegt. Da könnte man gerade aus der Kombination von «gescheiten Algorithmen und guten Beratern» viel Innovatives schaffen, ist er überzeugt. Allerdings mangle es an konkreten Angeboten. Denn als Institut ein modernes Vorsorgeangebot zu entwickeln, brauche einen langen Schnauf. «Viele Banken sagen einfach, das kann unser Kundenberater.» Ein Trugschluss, findet er: Die Mehrheit der Berater an der Front wüssten doch auch nicht, wie eine Lebensversicherung tatsächlich funktioniere.

Das meiste ist «Me Too», findet Thierry Kneissler

Überhaupt mangelt es gemäss Kneissler den Banken hierzulande an Pioniergeist. «Ich hätte jetzt auch Mühe, die drei grössten Innovationen der letzten Jahre zu nennen.» Das meiste sei «Me Too», denn radikale Ansätze hätten in bestehenden Strukturen meist keine Chancen. Die Banken würden vor allem den Preisdruck im Digitalbusiness sehen und wollten sich damit nicht selber kannibalisieren.

Angesichts weiterhin stattlicher Margen im klassischen Bankgeschäft sei die Angst vor einem Ertragsverlust grösser als die Lust, Neues auszuprobieren. «Innovation entsteht selten dort, wo schon ein erfolgreiches Geschäft vorhanden war.» Dieser Umstand mag sich für das Institut irgendwann rächen. Aber die Eigenlogik für die Banker sei bis dato eben anders getrieben: «Wird einem Manager dafür gedankt, wenn er heute an die Lage in zehn Jahren denkt, oder misst man ihn an den heutigen Umsätzen?»

Nicht nur die Anreize fürs Management scheinen die Innovationslust der Finanzbranche zu bremsen. Es sind auch technologische Altlasten. Neue Lösungen in ein bestehendes Banksystem einzubauen, sei teuer und schwierig, weiss Kneissler aus eigener Erfahrung. Was im Moment den angestammten Akteuren zudem helfe, sei, dass die Kunden trotz Corona ihr Verhalten nur langsam ändern würden. Mit anderen Worten: Solange Herr und Frau Schweizer träge bleiben, geht es auch den Banken gut.

Die gegenwärtigen Aktivitäten reichen nicht

Doch die nächsten Umwälzungen stehen bereits an. Das neue Zauberwort lautet «Embedded Finance». Damit würde sich der Umgang der Kunden mit Finanzdiensten radikal ändern, prophezeit Kneissler. Im Prinzip geht es um branchenübergreifende Lösungen. Also die Verbindung einer Nicht-Bank wie eines Detailhändlers mit einer Finanzleistung, also beispielsweise einem Kredit, einer Versicherung oder einer Zahlung. Ein konkretes Beispiel hier ist jene Hausratversicherung namens Hemsäcker, welche das Möbelhaus Ikea anbietet, oder jene Bezahldienste, die der Mobilitätsanbieter Uber für Kunden und Fahrer offeriert. Schätzungen gehen davon aus, dass sich das «Embedded Finance»-Volumen in zehn Jahren weltweit auf 7200 Milliarden Dollar belaufen wird.

Kneissler mahnt: Die gegenwärtigen Aktivitäten der Schweizer Banken würden nicht ausreichen, um die Kunden von morgen halten zu können. Nicht zuletzt, weil die Banken nicht die Kultur haben, um ein «Love Brand», also eine geliebte Marke, zu werden, findet Kneissler.

Klare Worte von einem, der zwanzig Jahre Karriere in der Finanzbranche hinter sich hat. Kneissler fällt denn auch immer wieder mit pointierten Beiträgen auf der Business-Netzwerk-Plattform Linkedin auf. Dort schreibt der selbstständige Strategieberater knapp und konzis über banknahe wie auch finanzferne Themen. Zum Beispiel über den Zürcher Paradeunternehmer des 19. Jahrhunderts, Alfred Escher («Er war vernetzt. Er kannte die Dossiers. Er schaffte als Macher Realitäten. Er war überall persönlich involviert. Er setzte die Interessen des Landes voran.»). Und Kneissler reiht an die Lobeshymne auf Escher die berechtigte Frage: «Sind Jahrhundert-Entscheide heute noch möglich in der Schweiz?» Daneben versorgt der Ex-Twint-Mann seine Linkedin-Gefolgschaft mit Tipps und Tricks, worauf es sich beim Anlegen zu schauen lohnt. Beispielsweise: «Anlageprodukte mit einer TER, also Vollkosten, über 1 Prozent sind zu teuer.»

Skeptisch gegenüber Bitcoin

Auch zu Bitcoin und Co., dem allgegenwärtigen Hype-Thema unter Anlegern, hat Kneissler eine dezidierte Sicht: Bereits 2015 hatte er sich nach einem Vortrag in Wien vorgenommen, Bitcoins für 5000 Franken zu kaufen. Was damals etwa 20 Bitcoins gegeben hätte. Zu heutigen Kursen ein veritables Vermögen. Doch vergass Kneissler, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Der Lapsus dürfte der «gigantischste Fehlinvestitionsentscheid meines Lebens» gewesen sein. Inzwischen ist Kneissler gegenüber Bitcoin und Co. zurückhaltender. Die Kryptowährungen seien Energiefresser, da der Prozess des Mining Unmengen an Energie verschlingt. Auch seien sie pure Spekulationsobjekte («Es gibt keinen unterliegenden Wert») und zudem mit viel ideologischem Glauben aufgeladen. Schliesslich verstehen die Verfechter der Kryptowährungen sie als selbstbestimmte, freiheitliche Alternative zu den nationalstaatlichen Geldsystemen. Der Payment-Experte ist in Sachen Bitcoin skeptisch: «Das wird nichts.»

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Postfinance – Zoff um die Zinsrisiken

Postfinance Das Staatsinstitut hält einen Teil des Verwaltungsrats der Finma für befangen – inklusive Präsident Thomas Bauer.

Der Streit zwischen der Postfinance und der Finanzmarktaufsicht Finma schwelt schon lange. Nun ist er vollends eskaliert, wie ein jüngst ergangenes Urteil am Bundesverwaltungsgericht (BVG) offenlegt. Darin fordert die gelbe Staatsbank, dass der Finma-Verwaltungsrat um Präsident Thomas Bauer in den Ausstand tritt. Denn eine unbefangene Beurteilung erscheine als ausgeschlossen, argumentiert die Postbank um ihren Präsidenten Rolf Watter.

Postfinance sucht «einvernehmliche Bereinigung»

Der Zürcher Wirtschaftsanwalt und Multi-Verwaltungsrat scheint sich in die Causa regelrecht verbissen zu haben. Zunächst hatte Watter nämlich mit Finma-Präsident Bauer zunächst «die Möglichkeit einer einvernehmlichen Bereinigung» ausgelotet, wie es im BVG-Urteil heisst. Mehrere Briefwechsel und Treffen später riss der Postfinance-Spitze im Februar dieses Jahres schliesslich der Geduldsfaden: Sie forderte den Ausstand der Finma-Führung um Bauer, worauf sich das Bundesverwaltungsgericht nun mit dem Hahnenkampf befassen musste.

Der jüngsten Befangenheitsepisode geht inhaltlich ein langwieriger Zank um Zinsrisiken bei der Postfinance voraus. Er nahm 2016 seinen Anfang. Damals verfügte die Finma-Geschäftsleitung um Direktor Mark Branson – gestützt auf die Basel-III-Vorschriften –, die gelbe Staatsbank müsse mehr Eigenmittel für den Fall halten, dass sich das Zinsniveau normalisiere. Damit droht der Postfinance ein Kapitalzuschlag von 270 bis maximal 540 Millionen Franken. Also in der Grössenordnung von ein bis zwei Jahresgewinnen, nimmt man den Geschäftsabschluss 2019 als Massstab. Die Postfinance rekurrierte dagegen und verlangte, dass nicht die Finma-GL darüber entscheide, sondern angesichts der finanziellen Tragweite der Finma-VR. Das Bundesgericht gab Ende 2018 der Staatsbank recht.

Finma-VR mit vorgefasster Meinung?

Doch auch das oberste Aufsichtsgremium machte in der Folge rasch klar, dass sie die Einschätzung der Finma-GL teile: Das Postfinance-eigene, empirische «Replikationsmodell» zu den Zinsrisiken vermochte Bauer und Co. jedenfalls nicht umzustimmen. Auch für den Finma-VR ist die Postfinance in Bezug auf die Zinsrisiken ein Ausreisserinstitut. Dieser Befund wiederum stösst der Bankspitze um Präsident Watter sauer auf. Sie ist überzeugt, dass bereits an der Finma-VR-Sitzung vom Januar 2019 die Meinungen zum Risikozuschlag gemacht waren. Also keinen Monat nachdem das Bundesgericht zugunsten der Postfinance entschieden hatte.

Banksprecher Rinaldo Tibolla erklärt denn auch, dass sich das Ausstandsbegehren gegen einzelne Personen richte wie «den Präsidenten des Verwaltungsrates sowie sämtliche Verwaltungsräte der Finma, die sich an oder in Zusammenhang mit der Sitzung vom 24. Januar 2019 in einer Weise festgelegt haben, dass eine unbefangene Beurteilung des gegenständlichen Verfügungsentwurfes als ausgeschlossen erscheint». Zugleich betont der Postfinance-Sprecher, man halte den Finma-VR für das «richtige Gremium». Jene VR-Mitglieder, die an der fraglichen Sitzung nicht teilgenommen hätten, seien als «nicht befangen» zu betrachten. Damit könne der Finma-VR ja «in reduzierter Zusammensetzung» ohne weiteres entscheiden.

Postfinance prüft Weiterzug ans Bundesgericht

Eine Argumentation, die vor Bundesverwaltungsgericht jedoch kein Gehör fand. Die Richter in St. Gallen erteilten dem Ausstandsbegehren der Postfinance eine Abfuhr. Die Staatsbank kann den Entscheid noch ans Bundesgericht weiterziehen. Man prüfe dies intern, sagt Tibolla.

Auch in der Sachfrage des Kapitalaufschlags ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Bislang liegt bloss ein Verfügungsentwurf des Finma-VR vom Dezember 2019 auf dem Tisch. Wann das oberste Aufsichtsgremium final entscheiden wird, ist nicht abzuschätzen. Knackpunkt bleibt jedoch die Frage der Zinsbindungsdauer. So ist das Kerngeschäft der Postfinance der Zahlungsverkehr. Das bedeutet: Auf der Passivseite hält die Postfinance im Vergleich zu einer gewöhnlichen Geschäftsbank deutlich mehr Sichtgelder als Sparbatzen.

Wie treu sind Kunden der Postfinance?

Jene Sichtgelder haben keine feste Zins- und Kapitalbindung. Kundinnen und Kunden können sie jederzeit abziehen. Die durchschnittliche Zinsbindungsdauer kann deshalb nur geschätzt werden. An ihr entbrannte der Glaubenskrieg zwischen der Finma und der Postfinance. Die zentrale Frage: Wie treu sind Postkonto-Kunden und -Kundinnen, wenn dereinst die Marktzinsen steigen? Führt der Zinsanstieg rasch zu Liquiditätsabflüssen in rentablere Anlagen? Oder verzichten die Kunden auf Rendite angesichts der hohen Verfügbarkeit der Postkonti? Da spielen auch Annahmen über die veränderte Kundentreue in digitalen Neo-Bank-Zeiten mit hinein. Oder das Image der Postfinance als eigenständige Aktiengesellschaft.

Glaubenskrieg als Fall für die Gerichte

Die getroffene Annahme bestimmt jedenfalls, wie empfindlich das Eigenkapital der Bank auf Änderungen des allgemeinen Zinsniveaus reagiert. Ein schockartiger Zinsanstieg um 150 Basispunkte würde beispielsweise den Barwert des Eigenkapitals der Postfinance um 160 Millionen Franken schmälern, wie dem jüngsten Geschäftsbericht zu entnehmen ist. Die Finma jedenfalls unterstellt der Postfinance pauschal auf den Kundeneinlagen eine Zinsbindungsdauer von zwei Jahren. Die Postfinance rechnet dagegen in ihren empirischen Modellen mit längeren Zinsbindungen, wodurch sich die Sensitivität des Eigenkapitals reduzieren würde. Ein Glaubenskrieg, über den wohl die Gerichte entscheiden werden.

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Retail Banken – Anlegen statt sparen

Retail Banken Raiffeisen, Postfinance und Co. lancieren digitale Anlagelösungen für Kleinkunden. Die Hintergründe zur Offensive in der Vermögensverwaltung.

Heinz Huber macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen in der Vermögensverwaltung: «Das Potenzial ist gross. Wir haben viele Sparer, aber wenige Anleger», sagt der Chef der Raiffeisen-Gruppe. Das Anlagegeschäft sei daher ein Gegenstand der Gruppenstrategie, die mit den Raiffeisenbanken diskutiert werde. Auch um die Abhängigkeit vom Zinsdifferenzgeschäft zu reduzieren. Im Hypothekargeschäft steht die Bank mittlerweile deutlich auf der Bremse. Im Gegenzug sollen die Anlagen wachsen, auch dank digitalen Lösungen.

«Wir werden ab Sommer eine digitale Vermögensverwaltung für unsere 3,5 Millionen Kundinnen und Kunden lancieren», kündigt Huber an. Das Angebot ab einem Mindestbetrag von 5000 Franken basiere auf der Technologie der Volt-App von Vontobel. Angelegt werden soll themenbasiert, und zwar mittels ETF möglichst kostengünstig. Das Anlage-Know- how stellt die Genossenschaftsbank selber. «Wir haben eigens ein Investment Office aufgebaut.» Die ersten Resultate der Vermögensoffensive zeigen sich bereits: Raiffeisen konnte im Geschäftsjahr 2019 ihre Verwaltungsmandate vervierfachen, wenngleich auf tiefer Basis. Und auch das Fondsgeschäft wuchs zweistellig.

Postfinance startet elektronische Vermögensverwaltung

Nicht nur die Genossenschaftsbank drückt ins Anlagegeschäft. Auch die Postfinance mit ihren 2,7 Millionen Kunden steht in den Startlöchern. Endlich, denn das Projekt dafür läuft schon seit Jahren: «Wir haben auf der grünen Wiese ein digitales Anlagegeschäft entwickelt, das wir in der ersten Maihälfte lancieren», sagt Daniel Mewes, Leiter Investment Solutions. Das «Flagship Product», erklärt Mewes, werde eine elektronische Vermögensverwaltung sein. Diese könne der Postfinance-Kunde aus seinem E-Banking volldigital mandatieren: «Das Onboarding wird im Schnitt keine zehn Minuten dauern.»

Ab einem Betrag von 5000 Franken sollen drei Anlagethemen – global, national, nachhaltig – zur Auswahl stehen, denen jeweils fünf Risikoprofile hinterlegt sind. Die Portfolios basieren auf ETF, passiven und aktiven Fonds. «Alles Best-in-class-Produkte ohne Retrozessionen», betont Mewes, der gleichzeitig dem Anlageausschuss der Postfinance vorsteht.

Auch die Staatsbank wird mit ihrem Digitalangebot keine vollautomatische Robo-Lösung lancieren. Vielmehr befindet ein Anlageausschuss über die Vermögensallokation. Die Vermögensverwaltung der Postfinance soll zwischen 0,75 und 0,95 Prozent der Anlagesumme kosten. Dazu kommen die Produktkosten von ETF und Fonds. Wer kein Mandatsverhältnis möchte, dem bietet die Postfinance auch eine Anlageberatung auf Basis von ausgewählten ETF und Fonds an. Oder ein «Execution only»-Angebot, also ein Wertschriftendepot, in Partnerschaft mit dem Brokerhaus Swissquote.

Für die Postfinance bedeutet die Vermögensverwaltung Neuland: «Wir müssen unsere Statuten anpassen. Sie sehen bislang gar kein Anlagegeschäft vor», sagt Mewes. Anschliessend braucht es eine Bewilligung der Finma. Diese sollte bis im Frühjahr vorliegen. Doch Mewes dämpft die Erwartung, obwohl Postfinance-Privatkunden 60 Milliarden Franken an Barmitteln bei der Staatsbank halten. «Wir sehen Wachstum, aber die Rückgänge im Zinsdifferenzgeschäft werden wir mit dem digitalen Anlagegeschäft bis auf weiteres nicht kompensieren können.»

Swissquote senkt Robo-Erwartungen

Mewes Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen von Swissquote-CEO Marc Bürki: Die vor einigen Jahren lancierten Robo-Anlageberatungen hätten die Erwartungen nicht ganz erfüllt. Einst versprach sich Swissquote, bis Ende 2020 1 Milliarde Franken vollautomatisch verwalten zu können. Von diesem Ziel sei man weit entfernt. «Wir rechnen derzeit mit etwa 400 Millionen.» Einerseits habe die gute Börsenstimmung nicht gerade geholfen, Anleger von Robos zu überzeugen. «Mit einem simplen SMI-Zertifikat konnte man in den letzten Jahren mehr verdienen als mit einem intelligenten Robo, der vernünftig investiert und nicht immer volles Risiko fährt», sagt Bürki. Mit Spannung erwartet er die Ergebnisse der Roboter, sollte die Börsenstimmung mal kippen.

Gleichzeitig habe Swissquote mit dem eigenen Produkt auch Fehler gemacht: «Unser Robo war zu kompliziert. Komplexität sollte eine Möglichkeit sein, nicht eine Grundvoraussetzung.» Man arbeite daher an einem einfacheren Produkt. «Das Investieren sollte so einfach sein wie der Kauf eines Anlagefonds.» Entwicklungspotenzial sieht Marc Bürki vor allem im Bereich der digitalen Finanzplanung. «Ehrlich gesagt funktioniert das bei den meisten Banken noch nicht», konstatiert er. Aber alle arbeiteten daran.

Banken Branche von Erfolg der Säule-3a-Apps überrascht

In der Branche zu reden gab vor allem der Start der Säule-3a-App Viac, an der die WIR Bank beteiligt ist. Mit wenigen Klicks können Viac-Kunden ein vollautomatisches Wertschriftendepot einrichten. Vor zweieinhalb Jahren lanciert, zählt Viac inzwischen 23 700 Kundinnen und Kunden und verwaltet knapp 400 Millionen Franken. Inzwischen hat auch die Zürcher Kantonalbank ZKB mit Frankly eine Säule-3a-App lanciert.

Bankenexperte Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern geht davon aus, dass viele Banken die Vorsorge automatisieren. Auch weil dort die Hürden tiefer seien, auf vollautomatische Lösungen zu setzen. Für die Anlage von jährlich bis zu 6000 Franken verzichteten die Bankkunden eher auf ein Beratungsgespräch, als wenn es um Beträge im fünf- bis sechsstelligen Bereich gehe. «3a ist daher ein No-Brainer, wenn es um digitale Anlagelösungen geht.» Manch eine Bank sei derzeit in Gesprächen, um Lösungen wie Viac einzulizenzieren.

Auch Nourdine Abderrahmane vom Beratungsunternehmen Capco beobachtet, dass viele Banken im Bereich der dritten Säule nach neuen Lösungen suchen. «Es gibt grosses Interesse, das Modell Viac zu kopieren.» Dabei sieht er primär ganz traditionelle Gründe für den Erfolg der Vorsorge-App: Eine Umfrage zeige, dass Viac-Kunden sich vor allem wegen der Möglichkeit, in Aktien anlegen zu können, und wegen der tiefen Gebühren für die Lösung entscheiden. Eigentlich sei es naheliegend, dass Banken mit eigenem Asset Management solche Digitalkanäle aufbauten, sagt Abderrahmane. Allerdings stünden bei grossen Banken nicht selten interne Interessenkonflikte im Wege. «Es ist vielleicht kein Zufall, dass kleine Banken derzeit eher mit solchen Versuchen auffallen.»Banken nicht mehr State of the Art

Mit Technologieunternehmen wie Apple und Samsung mitzuhalten

Die Banken hätten mittlerweile erkannt, dass ihre Angebote nicht mehr State of the Art seien, erklärt Capco-Berater Abderrahmane. «Sie haben Mühe, auch nur halbwegs mit Technologieunternehmen wie Apple oder Samsung mitzuhalten.» Auch sei erkannt, dass eine App ein anderes Management erfordere als eine Filiale. Noch weniger verbreitet sei indes die Erkenntnis, dass die Produkte nicht nur digitalisiert, sondern auch grundsätzlich verändert werden müssten. «Wollen die Bankkunden heute immer noch Paketlösungen oder gibt es nicht auch Bankkunden, die sich die Kreditkarte lieber woanders besorgen?» Man sei gespannt, ob sich die Banken auch an solche Grundsatzfragen getrauten, sagt der Berater.

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Postfinance – Die Post-Finanzkrise

Postfinance Sinkende Erträge, schmelzende Zinsmarge – und Kunden ziehen Geld ab. Die Bank steht am Scheideweg. Vier Strategien, wie die Postfinance sich neu aufstellen könnte.

Jedes Quartal dasselbe Bild: Die Postfinance verdient weniger, Kunden ziehen Gelder ab, das Aufwands-Ertrags-Verhältnis steigt. Die Staatsbank steckt in einer Sackgasse. Noch immer hängt der Ertrag der Postfinance zu 60 Prozent am Zinsdifferenzgeschäft. Doch im Kerngeschäft fehlt der Bank ein Standbein: Sie darf keine Kredite vergeben, wodurch die Bank die Einlagen in Anleihen solider Schuldner anlegen muss. Nur: Im Tiefzinsumfeld werfen diese Qualitätsobligationen kaum mehr etwas ab. Die Postfinance steckt in der Zinsfalle.

Gleichzeitig stellt sich für die eidgenössische Bank die Sinnfrage: Die Existenzberechtigung der Postfinance bestehe in der Grundversorgung der Bevölkerung mit Zahlungsverkehrsdienstleistungen, sagt der emeritierte Bankenprofessor Urs Birchler. Dazu gehöre ein Netz von zu Fuss erreichbaren Filialen und eine Staatsgarantie für Postfinance-Gelder. Doch das Filialnetz spiele nur noch bei einem kleinen Teil der Bevölkerung eine Rolle. Ein Immigrant, der kein Deutsch spreche, oder eine Betagte, die nicht mehr gut sehe, seien am Postschalter meist besser aufgehoben als bei einer Geschäftsbank. «Alle andern zahlen heute mit Kreditkarte oder Handy; für die grosse Mehrheit ist die Postfinance ein Relikt.»

Aufschieben des Postfinance Problems

Und auch die Staatsgarantie sei kein Alleinstellungsmerkmal, so Birchler. Gelder bei Geschäftsbanken seien durch den Einlegerschutz bis 100 000 Franken abgedeckt. «Wer noch sicherer sein möchte, geht zu einer Kantonalbank», sagt der Bankenprofessor. Er zweifelt deshalb an der Raison d’être der Postfinance: «Eine Institution, die es nicht braucht, verschwindet langfristig letztlich von selbst.» Es gehe nur darum, welches die schmerzloseste Variante darstelle. Sie bestehe selten im Aufschieben des Problems.

Ganz so apodiktisch ist Andreas Dietrich, Bankenprofessor an der Hochschule Luzern, nicht. Er fordert aber eine klarere Positionierung: «Die Postfinance verkauft sich in ihrer neuen Werbung als cool und digital und macht so einen auf Revolut, will aber auf der anderen Seite eine normale Bank sein mit Negativzinsen und Kontoführungsgebühren. Das passt so nicht zusammen.»

Die Post-Tochter solle auf ihre 2,5 Millionen Kunden setzen, denn diese seien ihr Alleinstellungsmerkmal. «Bei so vielen Kunden muss man ein Ökosystem mit verschiedenen Dienstleistungen aufbauen.» Zwar habe die Postfinance durchaus viele Produkte lanciert, sagt Dietrich, «doch sie verkauft das viel zu schlecht, ich spüre sie nicht».

STRATEGIE 1 PAYMENT: Auf Kernkompetenz konzentrieren

Die Postfinance hat eine klare DNA: Zahlungsverkehr. Der Postcheckdienst wurde vor mehr als hundert Jahren gegründet (siehe Infobox), um dem «kleinen Mann» Geldüberweisungen zu ermöglichen. Später eröffneten Herr und Frau Schweizer ein Postcheckkonto, um Einzahlungsscheine verteilen zu können, im Ausland kostenlos Bargeld zu beziehen oder – ohne Jahresgebühr – mit der Postcard zu bezahlen. Das Zahlungssystem der Post sei «bis zum Ende des 20. Jahrhunderts von der Mehrheit der Bevölkerung genutzt» worden, hält das «Historische Lexikon der Schweiz» fest. Man beachte die Vergangenheitsform.

Diese Positionierung hat die Post aufgegeben. Längst bieten auch andere Banken einfache Werkzeuge für die täglichen Zahlungen an. Die Postfinance hat ihre Avantgarde-Positionierung aufgegeben und damit auch ihre Einzigartigkeit. Konto und Postfinance Card kosten gleich viel wie bei Banken, die Payment-App Twint wird heute vom SIX-Konsortium gesteuert und selbst die von der Postfinance ausgegebenen Kreditkarten werden von der UBS verwaltet. Payment-DNS? Fehlanzeige.

Zurück zu den Wurzeln zu kehren, bedeutet, sich kompromisslos auf Kernkompetenzen zu konzentrieren: auf den besten und einfachsten Zahlungsverkehr mit Überweisungen in Echtzeit, intuitiv zu bedienende Apps und Internetlösungen, Kreditkarten mit Transparenz und besseren Konditionen als bei den Banken, über offene Schnittstellen eingebundene Drittanbieter. Kurz gesagt: auf Services.

«Lässt sich damit Geld verdienen?», fragen Kritiker. «Hat das Zukunft?» Dass Neobanken und Quereinsteiger wie Revolut oder Apple mit Zahlprodukten auf Kundenfang gehen, müsste zumindest hellhörig machen. Einst tat das auch die Post.

STRATEGIE 2 DIVERSIFIKATION: Postfinance hin zum Vermögensverwalter

Zwar konnte die Postfinance ihre Abhängigkeit vom Zinsdifferenzgeschäft in den letzten Jahren etwas reduzieren. Zum Beispiel durch die Vermittlung von Hypotheken oder eine Erhöhung der Kontogebühren. Doch noch immer stammen rund 60 Prozent der Erträge aus dem Geschäft mit den Zinsen. Dies ist insofern problematisch, als die Postfinance per Gesetz «keine Kredite und Hypotheken an Dritte» vergeben darf. Sie muss die Kundengelder in sichere Obligationen mit entsprechend mageren Renditen anlegen. Zwar hat der Bundesrat im Herbst 2018 beschlossen, das Kreditvergabeverbot aufzuheben. Aber angesichts der starken Kantonalbank-Lobby im Ständerat dürfte dieses Vorhaben einen schweren Stand haben.

Eine Diversifikation der Ertragsströme – weg vom Zinsgeschäft – tut also not. Beispielsweise, indem die Postfinance ihre Einlagen viel stärker bewirtschaftet als bisher. Von gegenwärtig rund 120 Milliarden Franken an Kundenvermögen sind nur knapp 10 Prozent in Anlagelösungen wie Wertschriften oder Versicherungen investiert. Mehr Geld in Anlagen würde das Kommissionsgeschäft ankurbeln.

Doch der Schritt vom Zahlungsdienstleister für die breite Masse zum individualisierten Vermögensverwalter bereitet der Postfinance grosse Mühe. Die Staatsbank verfügt nicht über ein breites Filialnetz mit qualifizierten Bankberatern: Anlagelösungen am Postschalter zu verkaufen, hat bereits zur Jahrtausendwende mit dem Soleil-Fonds nicht funktioniert. Deshalb kündigte die Postfinance bereits im Herbst 2015 eine digitale Anlagelösung zusammen mit Swissquote als Partner an. Doch die Zusammenarbeit scheiterte. Nun soll im ersten Halbjahr 2020 ein eigens entwickelter Robo-Advisor lanciert werden. Man darf gespannt sein.

STRATEGIE 3 DIGITALE PLATTFORM: Orchestrator im offenen Ökosystem

Die grosse Stärke der Postfinance seien die 2,8 Millionen Kunden, findet der Luzerner Bankenprofessor Andreas Dietrich. Diese Vertriebskraft gelte es zu nutzen. Zwar hat das die Postfinance in der Vergangenheit durchaus getan. Oft aber blieb es beim Versuch oder der Ankündigung. Letztlich fehlt eine konsequente Umsetzung.

Wer sich als Zentrum eines Ökosystems versteht, muss vor allem Schnittstellen anbieten. Wirtschaftlich betrachtet heisst das, dass die Postfinance Dienstleistungen nicht selbst anbietet, sondern jene von Drittanbietern vermittelt – und sich dafür abgelten lässt. Das können Anlagelösungen oder Versicherungspolicen sein. Vielleicht aber auch Telekomverträge oder Flugreisen. Die Bank Cler versucht das mit ihrem Gratiskonto Zak. Dieses vermittelt unter anderem Policen der Baloise oder lässt die Bankkunden für Produkte sparen, die dann direkt beim Coop-Shop Microspot erworben werden können. Wirklich konsequent ist eine solche Strategie aber erst, wenn die Plattform offen ist und Konkurrenten gegeneinander ausgespielt werden können.

Technisch bedeutet die Strategie Ökosystem eine Öffnung von Datenschnittstellen. Postfinance-Kunden sollten nicht nur mit Twint bezahlen können, sondern auch Apple Pay, Samsung Pay und dereinst vielleicht auch Facebook und Revolut direkt an ihr Konto anbinden können. Firmenkunden sollten mit wenig Aufwand ihre Buchhaltungssysteme mit den Bankkonten abgleichen können. Die Schweizer Banken wehren sich noch immer gegen Open-Banking-Tendenzen, wie sie in der EU mittlerweile vorgeschrieben sind. Als Kartellbrecherin könnte die Postfinance all jene Kunden abholen, die sich an der Defensivstrategie ihrer Hausbanken stören. Und davon gibt es viele.

STRATEGIE 4 BACKOFFICE: Postfinance als Banken-Dienstleister

UBS-Chef Sergio Ermotti hat schon mehrfach öffentlich die Idee einer Schweizer «Superbank» in die Runde geworfen, über welche die hiesigen Institute gemeinsam ihre nicht differenzierenden Dienste, zum Beispiel im Zahlungsverkehr, abwickeln könnten. Ein gemeinsames Backoffice könnte zumindest auf dem Papier gewaltige Skaleneffekte generieren, was dem Finanzplatz als Ganzes zugutekäme. Allerdings wäre die Komplexität einer Super-IT-Plattform ebenfalls ausufernd, sodass die natürliche Partnerin für ein derartiges Infrastrukturvorhaben, die Börsenbetreiberin SIX, schon vor geraumer Zeit Ermottis Ansinnen eine Absage erteilt hat.

Nun könnte die Postfinance in die Bresche springen. Nicht zuletzt, weil ihr bisheriger Grundversorgungsauftrag, nämlich der Bevölkerung Zahlungsverkehrsdienstleistungen zu offerieren, durch Digitalisierung und Konvergenz zusehends obsolet wird. Das Staatsinstitut könnte dazu seine 2,8 Millionen Endkunden meistbietend an die Privatinstitute oder die parastaatlichen Kantonalbanken verkaufen und mit dem Erlös ein eidgenössisches Banken-Backbone aufbauen.

Mit dem Rückzug aus dem Retailbanking würde sich die Postfinance zudem auf ihre historischen Stärken als Zahlungs-Massenverarbeiter besinnen, Zudem hätte der Staatsdienstleister die Grösse und die finanziellen Mittel, um in Zukunftstechnologien wie industrielle Compliance-Checks oder eine automatisierte Hypothekenabwicklung zu investieren. Mit dieser B2B-Strategie würden sowohl die Kreditverbots- wie auch die Privatisierungsfrage hinfällig. Die Postfinance würde zum zentralen Infrastrukturpartner der privaten Geschäftsbanken, die sich auf ihre Endkunden konzentrieren könnten.

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Migros – Duttis Finanzkonzern

Finanzdienstleistungen Die Post und die Migros sind Schweizer Volksunternehmen. Der gelbe und der orange Riese geniessen hohes Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung. Was jeweils in nationalen Spitzen-Rankings für Markenstärke resultiert. Bis vor kurzem gehörten eine Migros-Filiale und eine Poststelle quasi zur Standardausstattung einer Schweizer Gemeinde.

Doch die Zeiten ändern sich. Die Digitalisierung setzt den beiden Konzernen in ihrem Kerngeschäft arg zu. Der wöchentliche Gang auf die Post und in die Migros – früher ein Volkssport – ist seit längerem passé. Die Fussgängerzonen mit ihren Konsumentenhorden entvölkern sich. Und auch die Shoppingcenter wirken je länger, je mehr wie Konsum-Kathedralen ohne Gläubige.

Das eigentliche Kerngeschäft der Volkskonzerne leidet

Gleichzeitig entsteht ein zeit- und ortsunabhängiges Schlaraffenland: die internetgetriebene E- Commerce-Wirtschaft. Sie potenziert Angebotsvielfalt, Nutzungsformen und Mitbewerber um ein x-Faches. Das stationäre Geschäft kommt da nur noch schwerlich mit. Die Folge: Der Detailhandel der Migros und die Postfilialen – die eigentlichen Kerngeschäfte der Volkskonzerne – leiden. Die Umsätze stagnieren, die Margen schrumpfen, Personal wird reduziert. Gelber wie oranger Riese sehen in ihren Paradedisziplinen zusehends rot.

Die Migros Bank arbeitet hochprofitabel

Die finanzielle Konsequenz für die beiden Konglomerate ist so überraschend wie bedenklich: Post und Migros sind ertragsseitig immer stärker von ihren konzerneigenen Finanzdienstleistern abgängig. Im Geschäftsjahr 2018 steuerten die Postfinance und die Migros Bank fast die Hälfte zum jeweiligen Betriebsergebnis der Mutterkonzerne bei.

Der klassische Detailhändler ist also, zumindest in einer Ertragsbetrachtung, zum halben Finanzkonzern mutiert. Dabei arbeitet die Migros Bank hochrentabel: Auf 1 Franken bleiben 53 Rappen in der Kasse. So verwundert es nicht, dass jene 1344 Migros-Bank-Mitarbeitenden im letzten Jahr einen Pro-Kopf-Reingewinn von gut 150 000 Franken auswiesen. Der grosse Rest des orangen Riesen, aus Handel und Industrie bestehend, kommt mit seinen über 105 000 Mitarbeitenden auf magere 2600 Franken.

Der Goldesel für den Genossenschaftsbund

Nun könnte man argumentieren, dass die erfolgreich geführte Migros Bank ein Glücksfall ist für den gebeutelten Genossenschaftsbund. Sozusagen dessen Goldesel. Doch gerade das volatile Finanzgeschäft eignet sich denkbar schlecht als Ergebnisanker. Gerade die Postfinance hat gezeigt, wie aus einer gepflegten Cashcow in wenigen Jahren ein mageres Rindvieh werden kann. Deren Gewinnbeitrag hat sich mehr als halbiert. Die Aussichten sind trübe.

Zwar kann die Migros Bank, im Gegensatz zum gelben Rivalen, aufs solide Kreditgeschäft bauen. Doch der Immo-Boom ist vorbei, der Markt gesättigt, es herrscht ein Verdrängungswettbewerb. Und neue Online-Applikationen konkurrenzieren verstärkt Retail-Institute wie die Migros.

Duttis Bank könnte so bald zur Hypothek für die Migros werden.

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Die Handy-Hypothek

Postfinance Die Staatsbank wird Ende Monat mit Valuu eine App für Hypotheken-Angebote lancieren. Der Kreditantrag lässt sich über das Mobiltelefon stellen.

Zehn Monate hat Postfinance mit zwanzig Leuten an der digitalen Hypotheken-Plattform gebaut. Ende Monat steht das Endergebnis namens Valuu zum Download für Android und Apple bereit. Thomas Jakob, Verantwortlicher fürs Plattformgeschäft bei Postfinance, verspricht mit der mobilen App, die Suche nach einer passenden Wohnfinanzierung zu erleichtern: «Wir wollen die Schwelle zum Abschluss einer digitalen Hypothek senken. Und als unabhängiger Vermittler die bestmöglichen Offerten bieten.»

Auf Basis der gewünschten Wohnobjekte und der persönlichen finanziellen Verhältnisse ermittelt Valuu mit einem Matching-Algorithmus das beste Angebot. Dies müsse nicht immer das günstigste sein, so Jakob: «Neben den Zinskosten können für Kreditnehmer auch die Konditionen der Amortisation oder die maximale Höhe der Finanzierung wichtige Kriterien sein.»

Hat der Valuu-Nutzer die passende Offerte, kann der User seinen Kreditantrag an die Bank gleich per App stellen. Man habe festgestellt, dass viele Dokumente für den Hypothekenantrag bei den Leuten zu Hause in Papierform vorhanden seien, erklärt der Postfinance-Verantwortliche die Bewandtnis hinter einer ausschliesslichen App-Lösung: «Da ist es wesentlich praktischer, die Unterlagen per Valuu-App abzufotografieren, anstatt sie am Desktop-PC einzuscannen.» Sind schliesslich alle Dokumente parat, stellt Valuu ein Dossier zusammen und reicht es bei der jeweiligen Bank ein.

Klassisches Vermittlungsgeschäft

Thomas Jakob betont, dass Postfinance mit Valuu eine «völlig unabhängige Vergleichsplattform» lanciere. Um dies zu unterstreichen, wird die gelbe Staatsbank auf der digitalen Plattform auch keine eigenen Hypothekarofferten machen. Auch gibt es eine Chinese Wall, auf dass keine Valuu-Informationen ins Produkte-Management von Postfinance fliessen.

Vielmehr versteht sich die Staatsbank mit der Hypo-App als Match-Makerin. Dazu hat sie mit Wohnfinanzierern Partnerschaftsverträge abgeschlossen. Wie viele Anbieter beim Start Ende Januar über Valuu offerieren, will Postfinance-Manager Jakob nicht sagen. Nur so viel: «Wir haben eine gute Mischung aus kleinen, mittleren und grossen Banken, Versicherungen und Pensionskassen.» Das Feedback der Institute sei positiv gewesen. Die Beweggründe, um auf Valuu zu offerieren, sind unterschiedlich: Gewisse Anbieter möchten mit der App ihr Verbreitungsgebiet erweitern, andere die Kosten für die Kundenakquise senken oder den digitalen Prozess beschleunigen.

Für Postfinance geht es mit Valuu darum, neue, zinsunabhängige Ertragsquellen zu erschliessen. Der Geschäftsansatz basiere auf einem klassischen Vermittlungsmodell, erklärt der Plattformverantwortliche Jakob: «Der Hypo-Kreditnehmer zahlt nichts für Valuu, der Kreditgeber entrichtet eine Gebühr an uns.» Sie bemesse sich nach der Laufzeit und Höhe der Hypothek.

Andreas Dietrich, Banking-Experte am Institut für Finanzdienstleistungen Zug und Verwaltungsrat der Luzerner Kantonalbank, kennt das Geschäftsmodell der bestehenden Hypo-Vermittler bestens: In der Regel gebe der Kreditgeber im ersten Jahr der Hypothek etwa die Hälfte der Marge an den Vermittler ab. Und hier fängt für Dietrich auch schon das Problem an: «Alle Vermittler sagen, dass sie unabhängig seien, aber das stimmt nur bedingt, indem nämlich nur jene Anbieter im Vergleich erscheinen, die bereit sind, die Marge mit dem Vermittler zu teilen.» Gemäss eigenen Angaben sind dies bei den Valuu-Konkurrenten Moneypark rund hundert Finanzierungspartner, bei Hypoguide etwa dreissig und bei Hypoplus ist es gemäss Website «ein breites Netzwerk».

Persönlicher Kontakt gefragt

Angesichts der etablierten Konkurrenz zeigt sich Dietrich gegenüber dem neuen Postfinance-Angebot skeptisch: «Valuu ist Vermittler Nummer vier.» Zwar bestehe gegenüber den bisherigen Angeboten ein Differenzierungsmerkmal, indem Valuu komplett als mobile Applikation konzipiert sei ohne Beratung oder persönlichen Kontakt. Gerade dieses Alleinstellungsmerkmal erachtet Dietrich jedoch als Schwäche: «Der Markt für mobile Hypothekarangebote ist schwierig, weil die Erfahrung gezeigt hat, dass die Kunden bei einer kapitalen Finanzentscheidung wie dem Aufnehmen einer Hypothek am Ende halt doch den persönlichen Kontakt suchen.» Sei dies in einer Filiale oder per Telefon. Zumal die Skepsis gegenüber Hypo-Vermittlern seitens der Kunden immer noch recht hoch sei, wie eine aktuelle, nicht repräsentative Umfrage in der Deutschschweiz gezeigt habe.

Postfinance-Manager Jakob sieht dagegen durchaus Potenzial für Vermittler: «Wir versprechen uns viel von zwei Kundensegmenten: jenen, die gerne Angebotsvergleiche machen. Und jenen, die Aufwand und Zeit für eine Finanzierung minimieren wollen.» Entsprechend substanziell seien die gesteckten Ziele: Man wolle mit Valuu Mehrwert und einen «bleibenden Eindruck am Markt» hinterlassen.

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Gelbe Sippenhaft

Postfinance Das Staatsinstitut hat Margendruck und braucht Kapital. Doch die Politik schiebt die Aufhebung des Kreditverbots auf die lange Bank.

Die einstige Cashcow im Postkonzern droht zum mageren Rindvieh zu werden. Die Rede ist von der Postfinance, deren Geschäft derzeit einen regelrechten «Margensqueeze» erlebt. Man habe in den letzten fünfzehn Monaten rund 200 Millionen Franken an Zinsmarge verloren, sagt Sprecher Johannes Möri. Die Gesamtzinsmarge reduzierte sich in dieser Zeitspanne um fast 20 Basispunkte auf noch 0,642 Prozent per Ende März. Selbst eine allfällige Zinswende würde Postfinance vorderhand nicht viel helfen, mahnt Möri: «Dieser negative Trend wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen, da immer noch laufend gut verzinste Obligationen verfallen, die wir nur noch zu sehr tiefen Renditen anlegen können.»

Die Ertragsdramatik wird auch von höchster Stelle bestätigt. So weist die Nationalbank in ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht eine Rendite auf Vermögenswerte für die Postfinance im 2017 von 0,11 Prozent aus. Weniger als halb soviel wie im Vorjahr und der tiefste Wert seit 2013. Zum Vergleich: Der Durchschnitt über alle Banken liegt bei 0,42 Prozent – fast viermal so viel.

Reduzierte Effizienz

Die SNB macht denn auch beim gelben Staatsinstitut einen Rückgang der Profitabilität im Zinsgeschäft aus, gepaart mit einer Zunahme an Kreditausfälle, Wertanpassungen und Rückstellungen sowie einer «reduzierten Effizienz». Nicht verwunderlich also, dass Postfinance-Chef Hansruedi Köng nun an der Sparschraube dreht: 500 Vollzeitstellen sollen bis Ende 2020 verschwinden – das ist jeder siebte Arbeitsplatz. Zugleich werden die Gebühren für Millionen Kunden erhöht. Und noch dürfte damit das Ende der Fahnenstange nicht erreicht sein.

Zugleich werden Köngs Appelle an die Politik immer schriller: Nur wenn das Kreditvergabeverbot gelockert werde, könne der Fortbestand des Unternehmens gesichert werden, klagte er kürzlich. Die Postfinance ist nämlich bislang nur eine halbe Bank. Das Postgesetz untersagt ihr, selbständig Hypotheken und Firmenkredite vergeben. Sie wird damit gezwungen, ihre verwalteten Vermögen über 110 Milliarden Franken grösstenteils an den ausländischen Kapitalmärkten in sichere, aber renditearme Staatspapiere anzulegen oder bei der Nationalbank zu parkieren. Was im Negativzinsumfeld dazu führt, dass sich der Sparbatzen gleichsam selbst auflöst.

Ungehörte SOS-Rufe

Die Zeit drängt. Denn selbst wenn das Kreditverbot fallen sollte, geschieht der Aufbau eines eigenen Darlehens- und Hypothekargeschäfts nicht über Nacht. «Umso wichtiger ist es, dass die Politik diesbezüglich nun rasch handelt», sagt der Postfinance-Sprecher.

Doch die SOS-Rufe aus der Zentrale des gelben Riesen verklingen in der Wandelhalle des Bundeshauses ungehört. Sie gehen unter in der Empörungswelle, welche dem gelben Riesen derzeit im Zuge des Postauto-Skandals entgegenschwappt. Der einen Posttochter mehr unternehmerischen Spielraum gewähren, während die Konzernleitung es zuliess, dass bei der anderen Tochter Postauto Gewinne verschleiert und unrechtmässige Subventionen erschlichen wurden? Das geht für manche Politiker gar nicht, auch wenn die Postfinance damit vom Konzern in Sippenhaft genommen wird. «Andere Banken müssen auch restrukturieren», meint CVP-Präsident Martin Candinas. Ein Anlass, etwas zu ändern, bestehe nicht. Noch schreibe die Postfinance ja schwarze Zahlen.

Falscher Zeitpunkt

Der gelbe Riese hat in Bundesbern derzeit eben kaum Goodwill. Exemplarisch dafür steht das Vorgehen von SVP-Nationalrat Thomas Müller. Der Ostschweizer erklärte in der zweiten Juniwoche gegenüber Medien, er werde einen Vorstoss einreichen, der verlange, dass Postfinance mindestens im Hypothekenmarkt tätig werden dürfe. Doch es blieb bei der Ankündigung – und der Vorstoss totes Papier. «Ich habe es mir anders überlegt», erklärt Müller nun zerknirscht. Nach Rücksprache mit anderen Exponenten aus Politik und Verwaltung, sei er zum Schluss gekommen, dass es der falsche Zeitpunkt sei, sich für mehr unternehmerische Freiheit für die Postfinance einzusetzen.

Bereits im März hatte die grünliberale Partei die Postfinance-Problematik aufgegriffen. Sie will es dem Staatsinstitut erlauben, sich der Fesseln im Kreditgeschäft zu entledigen. Dies allerdings zum Preis, dass die Staatsbank privatisiert wird. Parteipräsident Jürg Grossen sagt: «Das heutige Kreditverbot schränkt die Postfinance auf dem Markt unnötig ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Institut in die roten Zahlen rutscht.» Der Berner Nationalrat sieht deshalb grosse Risiken auf den Bund zukommen: «Solange die Postfinance dem Bund gehört müssen im Insolvenzfall die Steuerzahler geradestehen. Das darf nicht sein.»

Wichtigster Gewinnlieferant

Die Postfinance-Führung könnte mit einer ganzen oder teilweisen Verselbständigung gut leben – Hauptsache, das Kreditverbot fällt. «Wenn eine (Teil-)Privatisierung die Voraussetzung dafür ist, dass das Kreditverbot fällt, dann sollten wir diesen Weg unbedingt gehen», erklärt Postfinance-Sprecher Möri. Doch stehen die Chancen, dass das Parlament die Finanztochter der Post-Tochter in die Freiheit entlässt, derzeit bei nahezu Null. Die Linke sperrt sich dagegen, weil sie die Grundversorgung gefährdet sieht. Und viele bürgerliche Politiker lehnen den Schritt ab, weil das Institut als wichtigster Gewinnlieferant des gelben Riesen Garant war für die jährliche Dividende von 200 Millionen Franken an den Bund.

Nun ruhen die Hoffnungen der Post-Manager auf dem Bundesrat. Er soll dem kriselnden Institut aus der Patsche helfen. Derzeit beschäftigen sich gleich zwei Departemente damit, wie es mit der Finanztochter der Post weiter gehen soll. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) ist derzeit daran zu definieren, wie der Grundversorgungsauftrag der Staatsbank künftig aussehen soll. Und dabei steht auch die Aufhebung des Kreditvergabeverbots zur Disposition.

Zugleich prüft das Finanzdepartement derzeit verschiedene Varianten zur Aufstockung des Eigenkapitals. Als systemrelevante Bank ist Postfinance gezwungen, bis zu 2 Milliarden Franken zusätzliches Eigenkapital einzuschiessen. Dies schreibt die Eigenmittelverordnung vor, die der Bundesrat unlängst verabschiedet hat. Der beste Weg aus Sicht von Postfinance wäre, dass der Bund als ultimativer Eigner den zusätzlichen Finanzierungsbedarf übernimmt.

Unattraktives Investment

Der Bundesrat könnte die gelbe Bank allerdings auch zwingen, das Eigenkapital aus eigener Kraft zu erwirtschaften beziehungsweise sämtliche Gewinne einzubehalten – was ohne Aufhebung des Kreditverbots ein schwieriges Unterfangen sein dürfte. Schliesslich könnte die gelbe Bank das Kapital auch über eine Teilprivatisierung der Postfinance einsammeln. Solange dem Institut aber der Einstieg ins Kredit- und Hypothekargeschäft verwehrt bleibt, dürfte das Unternehmen für Investoren unattraktiv sein. «Niemand beteiligt sich an einer Bank, die keine Kredite vergeben darf», sagt Postfinance-Sprecher Johannes Möri.

Ringt sich der Bundesrat dazu durch, das Kreditverbot für Postfinance aufzuheben, gehen allerdings jene Banken auf die Barrikaden, welche in den vergangenen Jahren das Hypothekengeschäft forciert haben. «Der Schweizer Kredit- und Hypothekarmarkt funktioniert gut. Die Kunden profitieren dank dem starken Wettbewerb von zahlreichen Anbietern und einem grossen Angebot», sagt Christian Leugger, Sprecher des Verbands der Schweizerischen Kantonalbanken. Da es kein Marktversagen gebe, lehne man eine Aufhebung des Kredit- und Hypothekarverbots von Postfinance ab. Alexandra Perina-Werz, Leiterin Politik von Raiffeisen betont, dass es die geltende Bundesverfassung nicht zulasse, dass die Post eine Bank betreibe. Zu diesem Schluss sei ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz bereits im Jahr 2006 gekommen.

Ursprünglich war geplant, dass der Bundesrat bereits im Juni einen Richtungsentscheid über die Zukunft von Postfinance fällt. Doch im aufgeheizten Klima rund um die Post, scheint ihm das schwer zu fallen. Mittlerweile hat der Bundesrat den Beschluss vertagt – er will erst im Spätsommer oder Herbst über die Thematik einen Beschluss fassen. Bis dann sollte sich immerhin der Pulverdampf der Postautoaffäre verzogen haben.

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Jürg Buchers Zinswette

Postfinance Er war der unangefochtene Star des gelben Riesen: Jürg Bucher, Chef der Postfinance und später gar Konzernleiter. In seinen langen Jahren beim Berner Finanzdienstleister schossen die Kundengelder durch die Decke, von 25 auf über 90 Milliarden Franken. Der Boost an Publikumseinlagen erfolgte ohne Banklizenz, dank gesetzlicher Ausnahmeregelung. Ende 2011 schied Bucher als gefeierter Postmanager aus. Er hatte die Finanztochter in seiner Regentschaft zur Ertragsperle gemacht. Was kurz darauf folgte, war die Umwandlung der Postfinance zu einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft samt Bewilligung der Finanzaufsicht Finma als Bank und Effektenhändlerin.

Goldene Ära

Seither geht es mit der Postfinance bergab. Das Betriebsergebnis sinkt, die Kosten steigen, das Geschäftsmodell ist unter Druck. Von Hansruedi «Housi» Köngs propagierten «Digital Powerhouse»-Zielen ist man weit entfernt. Gerne erinnert man sich da an die goldene Ära der Postfinance.

Doch nun zeigt die Einschätzung der Finanzmarktaufsicht, dass der Erfolg in der Prä-Banken-Zeit teuer erkauft war beim Staatsinstitut. Postfinance ging nämlich in den Jahren zuvor Zinsrisiken in einem Ausmass ein, «das die Finma bei einem von ihr überwachten Institut nicht akzeptieren kann». Die goldene Ära von Jürg Bucher erscheint plötzlich in einem neuen Licht.

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Zank um Zinsrisiken

Postfinance Die Staatsbank zofft sich mit der Finma: Wie stabil ist das Institut, wenn die Zinsen steigen? Der Streit mit dem Regulator lässt tief blicken.

Das 55-seitige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat es in sich. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) legt darin ihre regulatorische Contenance ab und redet Tacheles: Die Postfinance sei «ein auffälliges Institut», eine «Ausreisser-Bank» und stelle «in Bezug auf die Zinsrisiken einen Sonderfall» dar. Das Fazit der Finma, zusammengefasst von den BVG-Richtern, lautet: Die «Mindesteigenmittel und der Eigenmittelpuffer» der Postfinance würden zu den im Vergleich zu anderen Banken vermehrt eingegangenen Zinsrisiken «keine ausreichende Sicherheit mehr gewährleisten».

Die Finma hat deshalb vor knapp zwei Jahren gestützt auf die Basel-III-Regeln verfügt, die Postfinance müsse gegebenenfalls mehr Eigenmittel halten, wenn die Zinsen sich verändern. Es geht um einen potenziellen Kapitalzuschlag in der Grössenordnung eines halben oder gar eines ganzen Jahresgewinns.

Dagegen hat Postfinance Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben. Sie wurde vom BVG Ende März abgewiesen. Die Finma sieht sich in ihrer Aufsichtspraxis bestätigt. Dem gelben Staatsinstitut bleibt bis Anfang Mai der Gang vors Bundesgericht. Ob der Weiterzug angetreten werde, stehe zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest, sagt Postfinance-Sprecher Johannes Möri.

Keine triviale Angelegenheit

Heute schon gewährt der Rechtsstreit einen intimen Einblick in das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Finma und Postfinance. Zankapfel sind die Zinsrisiken der Staatsbank – beziehungsweise deren Bewertung durch die Aufsicht.

Der Finma dient als Massstab für den Kapitalzuschlag das Zinsänderungsrisiko: Wie viel Wert das Eigenkapital der Bank also tatsächlich hat, wenn sich die Marktzinsen um einen Prozentpunkt verändern. Je nach Sensitivität der Eigenmittel, also dem potenziellen Schwund der Kapitalbasis, müsste die Postfinance mehr oder weniger Geld einschiessen. Bei einer EK-Sensitivität von über 10 Prozent sind gemäss Finma-Verfügung 270 Millionen fällig, bei 15 und mehr wären es gar 540 Millionen Franken. Zum Vergleich: Postfinance selbst rechnet gemäss Geschäftsbericht 2017 bei gleichem Zinsschritt mit einer Minderung des Eigenkapitals um bloss 29 Millionen Franken.

Zentral für die Bemessung dieser Zinsrisiken ist die sogenannte Zinsbindungsdauer. Also jene Zeitspanne, in der die Zinsen (vertraglich) fixiert sind. Keine triviale Angelegenheit bei einer «halben Bank» wie der Postfinance, die auf der Aktivseite keine Kredite oder Hypotheken vergeben darf und gleichzeitig eine dominante Stellung im Zahlungsverkehr hat. Auf der Passivseite hält Postfinance nämlich deutlich mehr Sichtgelder als Sparbatzen. Die Sichtgelder können rasch abgezogen werden. Ihre Laufzeit ist unbestimmt, ihr Zinssatz variabel. Damit muss die Zinsbindungsdauer geschätzt werden.

Diese kalkulatorische Unschärfe beim verhältnismässig grossen Anteil an Sichtgeldern schürt den Glaubenskrieg zwischen Finma und Postfinance. Die zentrale Frage lautet: Wie treu sind Postkonto-Kunden mit ihren Einlagen, wenn dereinst die Marktzinsen (sprunghaft) steigen? Locken höhere Zinserträge ausserhalb der Bank und führen zu substanziellen Liquiditätsabflüssen? Oder sind die Kunden bereit, eine Prämie zu zahlen angesichts der hohen Verfügbarkeit der Postkonti?

Zinsbindungsdauer zentral

Konkret unterstellt die Finma der Postfinance pauschal eine Zinsbindungsdauer von zwei Jahren, was diese als «unverhältnismässig» und «unangemessen» erachtet. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Zinsbindungsdauer aller Spargelder der Banken lag in den letzten zehn Jahren bei eineinhalb Jahren. Sie lag also noch unter der Finma-Frist für die Postfinance.

Dennoch geht das Staatsinstitut dem Vernehmen nach in der bankeigenen Zinsrisiko-Bewertung von einer substanziell längeren Zinsbindungsdauer aus und fordert empirische Evidenz für die von der Finma unterstellte kürzere Frist: Beweise bitte. Ansonsten resultiere ein höheres Risiko bei tieferen Erträgen. Das sei ökonomisch unsinnig.

Die Finma sieht sich bemüssigt, ihre zwei Jahre zu begründen, und liefert eine Einschätzung der Postfinance und ihres Geschäftsumfelds. Erstens geht die Aufsicht davon aus, dass die gelbe Bank bei einer «Normalisierung des Zinsumfeldes» Gelder verliert. Indem diese «zumindest teilweise ertragsreicheren Anlagezwecken» zugeführt würden. Zweitens rechnet die Finma damit, dass Kunden künftig schneller bereit seien, «zugunsten eines attraktiveren Angebots den Anbieter zu wechseln». Der Markt werde transparenter. Drittens führt die Harmonisierung des Zahlungsverkehrs von Postfinance und SIX dazu, dass sich «die Auswechselbarkeit der Anbieter im Zahlungsverkehr» erhöhe. Und viertens spreche für eine kürzere Kundenbindungsdauer, dass die Postfinance «als privatrechtliche und eigenständige Bank und nicht mehr als Teil des staatlichen Postbetriebs» wahrgenommen werde.

Milliarden als Sicherheit parkiert

Bei der gelben Bank sorgt das Aufsichtsargumentarium für Stirnrunzeln. Dort verweist man auf jene 36 Milliarden Franken an flüssigen Mitteln, die bei der SNB parkiert sind. Und Postfinance erinnert gerne an ihre Mindestliquiditätsquote von knapp 200 Prozent.

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Kredit verspielt

Postfinance Die Staatsbank ist neu alleiniger Eigner des Online-Kreditvermittlers Lendico. Rocket Internet ist ausgestiegen. Kommuniziert wurde der Exit nicht.

Die Versprechungen waren vollmundig, als vor gut eineinhalb Jahren die Kreditvermittlungs-Plattform Lendico an den Start ging. «Unser Anspruch an diese Kooperation ist es, Crowdlending in der Schweiz aus dem Nischenstatus in den Massenmarkt zu heben», sagte Postfinance-Chef Hansruedi Köng damals.

Die Kooperation: Das waren das Berner Staatsinstitut und das 2013 gegründete Berliner Finanz-Start-Up Lendico, das nun der niederländischen Bank ING Diba gehört und bis vor kurzem Teil der börsenkotierten Rocket Internet war. Es ist der Beteiligungs-Konzern der Samwer-Brüder, jener Seriengründern der deutschen Digitalwirtschaft, die hinter Online-Powerhäusern wie Zalando, Home24 oder DeliveryHero stecken.

«PF» als «einziger Aktionär»

Inzwischen gehört Lendico Schweiz ganz dem Postfinance-Konzern, wie Recherchen der «Handelszeitung» zeigen. Still und leise hat Rocket Internet beim Schweizer Kredit-Vermittler das Handtuch geworfen. Anfang Dezember wird in einem Sitzungsprotokoll «PF» bereits als «einziger Aktionär der Gesellschaft» aufgeführt. Allerdings hat es das Staatsinstitut nicht für nötig befunden, die Öffentlichkeit und Lendico-Kunden über die «geänderte Aktionärsstruktur» zu informieren, wie es im Protokoll heisst.

Sowohl auf der Website der KMU-Kreditplattform wie auch auf Postfinance.ch ist weiter die Rede von einem «Joint-Venture mit der Lendico-Gruppe». Auf Anfrage erklärt Postfinance, dass im Geschäftsbericht 2017, der Anfang März erscheine, die «Lendico Schweiz AG bereits als 100 Prozent Beteiligung aufgeführt sein» werde.

Zu den Trennungsgründen, sagt Sprecher Johannes Möri, ohne auf finanzielle Details einzugehen: «Bei der Lendico Gruppe Deutschland stand der Markt Schweiz nicht im Vordergrund.» Zudem seien im «Shared Services Modell» die Abhängigkeiten von der Gruppe zu gross. Lendico müsse jedoch «agil auf dem Heimmarkt sein», so Möri. Das ist auch dringend nötig, denn die «digitale und schnelle Alternative zu Banken», wie es im Selbstbeschrieb heisst, hat bislang keine Stricke verrissen.

Von Köngs hehrem Anspruch, Crowdlending in der Schweizer aus dem Nischenstatus in den Massenmarkt zu heben, ist Lendico meilenweit entfernt. Dies, obwohl das Finanz-Startup – im Gegensatz zur privaten Crowd-Konkurrenz – mit dem Qualitätssiegel «Postfinance» startete. Doch vielmehr droht Lendico, eineinhalb Jahre nach Lancierung, gegenüber anderen KMU-Crowdlendern wie CreditGate24 oder Swisspeers den Anschluss zu verlieren.

Seit dem Start im Dezember 2016 hat der Zürcher Crowdlender lediglich fünf Kreditprojekte im Gesamtvolumen von gut 300 000 Franken vermittelt. Zum Vergleich: Konkurrent Creditgate24 konnte in den drei Jahren seit Gründung gut 36 Millionen Franken an KMU-Krediten vermitteln. Wenn auch mit deutlich mehr personellen Mitteln als die Postfinance-Tochter. Bei Lendico lahmt also die Pipeline an Kreditprojekten. Denn die Berner Mutter hält ihr Zürcher Finanz-Startuup auf Distanz. «Die meisten KMU-Kunden erfahren von ihrem Postfinance-Berater gar nicht, dass sie ihren Kreditbedarf über Lendico finanzieren könnten», sagt ein Insider. Der gelbe Riese vermittle schlicht keine «Leads» aus dem Geschäftskunden-Bereich.

Geschäftsbanken übten Kritik

Die Distanz zum eigenen Crowdlender hat Gründe: Bereits bei der Lendico-Lancierung im Sommer 2016 gingen nämlich die politischen Wogen hoch. Das Staatsinstitut umgehe mit dem ausländischen Crowdlending-Joint-Venture das im Postorganisationsgesetz stipulierte Verbot von Kreditvergaben, monierten Kritiker. Allen voran die konkurrierten Geschäftsbanken witterten Verrat am Verbot. Der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard schrieb daraufhin eine umfängliche Interpellation an den Bundesrat betreffend «Folgen und Risiken» der «neuen Tätigkeiten der Postfinance».

Und die stets nüchterne «NZZ» sah die Postfinance gar, sich mit ihrem Lendico-Joint-Venture in den «Dunkelgraubereich» zu bewegen. Sprecher Möri findet die Kritik «unzutreffend» und stellt klar: «PostFinance vergibt über die Lendico Schweiz AG keine Kredite.» Sie vermittelt auch praktisch keine, möchte man anfügen.