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HSLU Economic Crime Blog

Risiken und Nebenwirkungen von Wirtschaftssanktionen

Wirtschaftssanktionen liegen auf der Schwelle zwischen Gesprächs-Diplomatie und offenem Krieg: Sie werden eingesetzt, um Kontrahenten gezielt zu bestrafen. Doch die Massnahmen gegen Personen und Unternehmen verursachen Kollateralschäden bei mittelbar betroffenen Dritten.

Diplomatie ohne Waffen sei wie ein Orchester ohne Instrumente, sagte einst der preussische König Friedrich der Grosse. Zum Arsenal moderner Diplomatie gehören heute, unterhalb der Kriegsschwelle, auch Sanktionen. Beispiele aus jüngster Vergangenheit sind der Atomkonflikt mit dem Iran, der Handelsstreit mit China oder Nordkoreas Waffenprogramm. Auch in der aktuellen Bedrohung durch Russland werden erneut Sanktionen diskutiert, allerdings in einer bisher ungeahnten Dimension.

Ein Krieg soll sich nicht lohnen

Seit Monaten arbeiten die Vereinigten Staaten und die Europäische Union an einer entsprechenden Drohkulisse. Im US-Senat war gar die Rede von der „Mutter aller Sanktionen“. Die angedrohten Sanktionen sollen Russlands Opportunitätskosten für einen erneuten militärischen Angriff auf die Ukraine in ungeahnte Höhen treiben. Auf dass sich ein Krieg für den Kreml nicht mehr lohnt.

Bislang hatte der Westen auf Finanzsanktionen und gezielte Sanktionen („targeted sanctions“) gesetzt. Die zuständige Kontrollbehörde im US-Finanzministerium, das Office of Foreign Assets Control OFAC, publiziert dazu Listen mit Personen und Unternehmen, welche vom amerikanischen Finanzsystem auszuschliessen sind. Deren Effektivität ist empirisch belegt. Am Tag der OFAC-Publikation frieren Geschäftsbanken die Konten sanktionierter Personen und Entitäten ein, obwohl Betroffenen eine Übergangsfrist einzuräumen möglich wäre. Auch Schweizer Banken verhalten sich im Regelfall kompromisslos. Selbst wenn das zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft SECO den Sanktionsentscheid nicht mitträgt.

Mit der Ukraine-Krise deutet sich nun allerdings eine drastische Ausweitung des Sanktionsregimes an. Es droht ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges. So sind sektorielle Sanktionen und Exportkontrollen geplant, die Lieferungen von Schlüsseltechnologien nach Russland verbieten sollen. Dazu gehören beispielsweise Hi-Tech-Güter der Bereiche Künstliche Intelligenz, Robotik, Quanten- oder Verschlüsselungstechnologie. Für diese und weitere Industriebereiche dürften auch finanzielle und logistische Dienstleister in den Sanktionsfokus rücken. Ziel all dieser Massnahmen ist es, Russland und seine Verbündeten als Wirtschaftsblock vom Westen – zumindest partiell – abzutrennen.

Risiken für Schweizer Unternehmen

Die Schweiz hat in der Vergangenheit einzelne „target sanctions“ nur fallweise nachvollzogen. So wurden beispielsweise in der Schweiz domizilierte Personen und Gesellschaften, die von Sanktionen der EU und der USA betroffen sind, vom SECO nicht sanktioniert. Es ist aber politisch fraglich, ob die Schweiz im Falle eines Angriffskrieges die bisherige Praxis beibehalten kann.

Für die Risikobeurteilung der Unternehmen ist es letztlich nicht relevant, was politisch wünschenswert wäre. Es geht darum, sich auf das vorzubereiten, was kommen kann. Allein die Sanktionen der USA vermögen das Osteuropa-Geschäft eines Schweizer Unternehmens massiv zu schädigen. Wenn beispielsweise die Vereinigten Staaten eine russische Bank sanktionieren, dann wird ein russischer Kunde dieser Bank keine Zahlungen zu Gunsten einer Schweizer Korrespondenzbank mehr vornehmen können.

Wirtschaftssanktionen

Daher birgt ein sektorielles Sanktionsregime für hiesige Unternehmen hohe Risiken auf der gesamten Wertschöpfungskette. Denn auch mittelbare Dritte können über Gegenparteien sehr direkt und existentiell von Exportkontroll-Beschränkungen betroffen sein. Beispielsweise, indem aufgrund von sanktionierten Gütern plötzlich Lieferanten ausfallen oder Vertriebspartner nicht mehr bezugsberechtigt sind. Als besonders komplex in einem Sanktionsumfeld sind dabei Lizenzpartnerschaften und Outsourcing-Verhältnisse zu betrachten. Bei Lizenzpartnerschaften sind oftmals sanktionierte Finanzintermediäre ein Problem, wenn es um die Lizenzentschädigung geht. Bei Outsourcing-Betrieben können gewisse Vorleistungen unter die Exportkontrolle fallen, wodurch die Produktion gestört wird.

Ohne Zweifel sind in einem Umfeld mit Wirtschaftssanktionen auch andere Korruptions- und Betrugsrisiken erhöht, indem beispielsweise versucht wird, gewisse verbotene Güter und Produkte durch illegale Umgehungshandlungen zu importieren.

Nur eine proaktive und kontinuierliche Verwundbarkeitsanalyse kritischer Aussenbeziehungen in Osteuropa auf mögliche Gefährdungen hin kann sicherstellen, dass ein Sanktionsentscheid nicht zum geschäftskritischen Ereignis wird.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf dem Economic Crime Blog der Hochschule Luzern.

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Handelszeitung Meinung

Russisches Roulette

Julius Bär Es war das Amuse-Bouche für die Generalversammlung der Julius Bär. Doch es war eines, das den Aktionären der Privatbank im Halse stecken blieb. Die Rede ist vom knappen Artikel, den die NZZ wenige Tage vor der GV über das Enforcement der Finanzmarktaufsicht bei der Bank Bär veröffentlichte. Im Visier der Aufsicht: Compliance-Schlampereien mit Geldern aus dem Umfeld des Fussballverbands Fifa und des staatlichen Ölkonzerns von Venezuela. Als wären die genannten Fälle nicht gravierend genug, soll die Bär-Spitze von den Rüstungs-Deals ihres suspendierten Moskau-Leiters W. M. nicht nur gewusst haben. Ein Konzernleitungsmitglied der Julius Bär habe W. M. gar die «Nebenbeschäftigung» als Waffenschieber bewilligt – trotz starken Bedenken der internen Compliance.

Hodler als Notnagel

Ein Entscheid, der russischem Roulette mit der Reputation der Bank gleichkommt. Die Episode deutet jedoch exemplarisch auf die Geisteshaltung in der langen Ära Collardi: Wachstum über alles, wen kümmern die Kollateralschäden. Doch Collardis Nachfolger, Bernhard Hodler, ist nicht die Lösung, sondern vielmehr Teil des Sorgfalts-Problems. Der ehemalige Compliance-Chef und oberste Risiko-Mann hätte ja eigentlich bald in den Verwaltungsrat wechseln sollen. Doch Präsident Sauter wurde vom Exit Collardis derart überrascht, dass Hodler als Notnagel herhalten musste. Kaum eine Wahl mit langer Zukunft.

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Beitrag Handelszeitung

Die Kunst der Auslassung

Ruag Der Rüstungskonzern vertrieb seine Munition in Russland über die Privatfirma des Moskau-Chefs der Bank Julius Bär. Nun fordern Politiker volle Aufklärung.

Eigentlich sollte Ruag-Chef Urs Breitmeier die Jahreszahlen des Rüstungskonzerns rapportieren. Doch nachdem die «Handelszeitung» die privaten Russland-Deals eines Ruag-Managers enthüllt hatte, übte sich Breitmeier an der Bilanzmedienkonferenz in Krisenkommunikation. Er tat dies mit viel Emotion («Ich war schockiert») und wenig Erhellendem («Ruag hat in der Zeit vor dem Embargo Munition nach Russland an die Präsidentengarde geliefert»).

Das war die hohe Kunst der Auslassung. Was Breitmeier zu den eigenen Russland-Deals vor dem Embargo nicht sagte, war: Wer die Munition für den Schweizer Rüstungsbetrieb in Russland vertrieben hatte. Die Patronen für Putins Präsidentengarde wurden nämlich ganz offiziell über die Firma des Bankers W. M. (Name der Redaktion bekannt) vertrieben. Es ist jener Mann, der mit dem Ruag-Manager und einem Zuger Waffenhändler nebenher noch private Rüstungsdeals machte und deswegen von der russischen Anti-Korruptions-Behörde befragt und vom Arbeitgeber – der Bank Julius Bär – suspendiert wurde.

W. M. war also in doppelter Mission unterwegs: Er machte hinter dem Rücken der Privatbank nicht nur Rüstungsdeals, bei denen mutmasslich Schmiergeld an Staatsbedienstete geflossen sein sollen. Der Banker vertrieb in Russland über die eigene Firmen-Gruppe die Ruag-Munition – und das bis 2014. Bis heute schmückt sich die Gesellschaft von W. M. auf ihrer Firmen-Website mit dem Titel als «Distributor» für Ruag, samt Logo des bundeseigenen Rüstungskonzerns.

Die Firma von W. M. hat ihren Ursprung in Kingstown, der Hauptstadt des Karibikstaats St. Vincent und der Grenadinen. Auf dem tropischen Eiland ist die Firma International Maritime Shipping Corporation, kurz IMSC, im sogenannten Trust House registriert. Das ist eine beliebte Adresse für Briefkastenfirmen, die zu Hunderten in den Paradise Papers auftauchen. Dort, an der Bonadie Street 112 in Kingstown, wurde 2005 die IMSC gegründet (siehe Ausriss). Aktienkapital: 1 Million Euro, einbezahlt von W. M.

Erst Öl, dann Waffen

IMSC ist die private Offshore-Gesellschaft jenes Mannes, der zuerst für die Liechtensteiner VP Bank und später für die Bank Julius Bär das Representative Office in Moskau leiten sollte. Und die IMSC ist jene Gesellschaft, mit der Ruag Ammotec – also die Munitionsdivision des Bundesbetriebs – später eine Vertriebskooperation für Russland und wohl auch für weitere GUS-Staaten hatte.

Zunächst war die IMSC aber kein Rüstungsvertrieb für Ex-Sowjetstaaten, sondern fungierte offenbar tatsächlich als maritimer Logistiker, wie der Firmenname suggeriert. Man sei in Zürich basiert, habe eine technische Abteilung in Sankt Petersburg und über Partner eine Öltankerflotte, hiess es nämlich zunächst auf der Firmen-Website namens imsc.ru.

Einige Jahre später lautete der Claim des Webauftritts plötzlich: «Investment in Russia – participate: save and successful.» Die Frachtlogistik war da nur noch ein Nebenzweig von Banker W. M. Seine Firma vertrieb nun Rüstungsgüter. In jene Zeit fällt auch die Gründung einer gleichnamigen Gesellschaft in Zug, die später zur 100-Prozent-Tochter der karibischen IMSC werden sollte. Deren Firmenzweck offenbart, was der damalige VP-Banker W. M. und seine Partner nun vorhatten, nämlich Handel, «insbesondere mit Gütern und Systemen der Rüstung und Sicherheit».

Zu den IMSC-Kunden gehört auch Ruag. Der Bundesbetrieb bestätigt auf Anfrage, dass «die Firma IMSC mit Sitz in Zug Kunde von Ruag war und die Lieferungen an den Endkunden abgewickelt hat». Ruag-Sprecherin Kirsten Hammerich sagt dazu: «Wir haben von 2010 bis zum Inkrafttreten des Embargos im Jahr 2014 Kleinkalibermunition für insgesamt rund 1 Million Franken nach Russland geliefert.»

Im Vorfeld der Geschäftsbeziehung zwischen Ruag und der IMSC soll es auch zu einer Sicherheitsüberprüfung von W. M. gekommen sein. Der Bericht soll für den Banker nicht sehr vorteilhaft gewesen sein, verlautet es aus einer Quelle. Passiert ist nichts. Ruag sagt dazu, man habe keine Kenntnis von einem Sicherheitscheck durch die Bundespolizei.

Zweifel an Einzelfall-Version

Die Affäre rund um die staatliche Ruag hat längst die Politik aufgeschreckt. Nächsten Montag werden mögliche Verstösse gegen Sorgfaltspflichten und Richtlinien Thema der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats (SiK) sein. «Ich habe den Verteidigungsminister aufgefordert, detailliert Auskunft über die Fälle zu geben», sagt SVP-Nationalrat und SiK-Präsident Werner Salzmann. Ob man danach auch die Ruag-Führung aufbieten wolle, werde man im Anschluss an die Anhörung entscheiden.

Derweil hegen Parlamentarier Zweifel an der Aussage der Ruag-Spitze, dass es sich um einen Einzelfall handle. «Dass dies nicht stimmt, hat die ‹Handelszeitung› bereits aufgedeckt», sagt der grüne Nationalrat Balthasar Glättli. Kollege Beat Flach von den Grünliberalen fordert eine lückenlose Aufklärung. «Es darf nicht sein, dass Führungspersonen von Ruag gleichzeitig privat Geschäfte betreiben dürfen. Verteidigungsminister Parmelin muss in der Anhörung in der Sicherheitskommission klarmachen, dass solche Aktivitäten unterbunden werden.» Er erwarte, dass Ruag mehr Handlungswillen an den Tag legt, was die Verbesserung der Compliance betreffe.

Ins gleiche Horn bläst FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger-Walther. «Ruag bewegt sich in einem sehr exponierten Geschäft. Es ist deshalb wichtig, dass das Unternehmen seine Compliance intensiviert», sagt sie. Die Kritik der EFK an den Compliance-Standards vor zwei Jahren habe bereits zu einer Verbesserung der Situation geführt. Die jüngsten Skandalfälle zeigten, dass man den Finger weiter draufhalten müsse.

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Ruag liefert Munition

Rüstung Der Russland-Deal ist kein Einzelfall. In der Munitionsdivision gab es mehrere Compliance-Fälle. Im Herbst musste der Divisionschef gehen.

Es ist das Stelldichein der globalen Rüstungsbranche, die Waffenmesse Idex im Wüstenstaat Abu Dhabi. Sie findet alle zwei Jahre statt, jüngst Mitte Februar 2017. An der Idex war auch Ruag vertreten. Am Stand des Rüstungsbetriebs war auffällig oft der Moskau-Leiter der Bank Julius Bär anzutreffen. Warum, ist erst jetzt klar, nachdem die «Handelszeitung» vergangene Woche dessen Rüstungsgeschäfte aufgedeckt hat (siehe Ausriss).

An der Idex wandte sich auch ein Zuger Waffenhändler erstmals an den Rüstungsbetrieb. Er lieferte Hinweise zu mutmasslich verdeckten Russland-Deals eines Ruag-Managers. Dieser Kadermann der Munitionsdivision Ammotec wurde inzwischen freigestellt. Die Bundesanwaltschaft durchsuchte letzte Woche sein Büro am Ammotec-Sitz in Thun.

Nicht informiert

Mit den brisanten Infos zum Ruag-Manager wandte sich der Whistleblower in Abu Dhabi direkt an den damaligen Leiter der Munitionsdivision, Ammotec-Chef Cyril Kubelka. Die Folgen: keine. «Dass Herr Kubelka bereits früher über diese Angelegenheit informiert worden sein soll, ist uns nicht bekannt», sagt eine Ruag-Sprecherin. Man habe Kenntnis vom Vorfall, seitdem sich ein Whistleblower Anfang 2018 an die Compliance der Firma wandte. Ruag eröffnete daraufhin eine interne Untersuchung.

Zum Zeitpunkt der Untersuchung ist Cyril Kubelka, den der Whistleblower als Ersten informierte, bereits nicht mehr Leiter der Munitionsdivision. Der Ammotec-Chef – seit 2004 im Amt – verliess Ruag Ende September. Man wünsche ihm für die Zukunft nur das Beste, liess sich Ruag-Chef: Urs Breitmeier im Communiqué zitieren. Doch Kubelkas Abgang war nicht freiwillig erfolgt. Gegenüber der «Handelszeitung» räumt Ruag ein, dass es «aufgrund unterschiedlicher Auffassungen», unter anderem zur Governance, zum «Austritt des Divisionsleiters» kam. Konkret stolperte Kubelka, wie mehrere Quellen bezeugen, über gravierende Compliance-Mängel in der Ruag-Munitionsproduktion im ungarischen Sirok. Das Werk stammt noch aus Sowjetzeiten.

Die Ammotec-Fabrik im Nordosten Ungarns taucht nämlich – anonymisiert – im Bericht «Prüfung des Compliance Management System – Ruag» auf, den die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) im Oktober 2016 verfasste. Darin machen die Kontrolleure des Bundes schwere Versäumnisse im Werk aus. Die von der EFK besuchte Fabrik sei auch acht Jahre nach der Übernahme durch Ruag «faktisch nicht integriert».

Nicht visiert

Die EFK listet alle Compliance-Mängel Punkt für Punkt auf: «Ein formelles internes Kontrollsystem ist nicht implementiert. Weisungen liegen kaum vor. Belege für abgerechnete Spesen konnten nicht vorgelegt werden. (…) Wer welche Kompetenzen in Bezug auf finanzrelevante Vorgänge hat, ist im Einzelnen nicht formell geregelt. Genehmigungsinstanzen beim Einkauf sind nicht nachweisbar. Rechnungen sind nicht visiert.» Und so weiter und so fort.

Nebst all diesen prozessualen Mängeln weisen die Kontrolleure auch auf praktische Missstände hin wie eine Bauvergabe, bei der aussergewöhnlich hohe Anzahlungen flossen. Oder ein IT-System, dessen Kunden- und Lieferantendaten nicht geschützt sind.

Der Passus zur Ammotec-Fabrik gipfelt darin, dass die EFK im Sommer 2016 der Ruag-Führung um Chef:°° Urs Breitmeier die in Sirok gesammelten Fakten präsentiert, worauf die Topmanager einer «möglichst kurzfristig anzusetzenden Nachprüfung» zusagen.

Doch stattdessen informieren Breitmeier und Co. die Hauptakteure bei Ammotec umgehend über die EFK-Befunde. Die Kontrolleure konstatieren: «Somit besteht Verdunkelungsgefahr, was den Nutzen der Abklärung infrage stellt.» Auf die Verhältnisse in Sirok angesprochen, betont Ruag heute, dass «keine relevanten strafrechtlichen Verstösse» festgestellt wurden. Man habe Massnahmen eingeleitet und sich vom Standortleiter getrennt.

Fall in Florida

Nicht nur im Osten lag einiges im Argen bei Ammotec. Unter der Ägide des damaligen Divisionsleiters Kubelka gab es einen weiteren Fall. Die Munitionssparte übernahm 2009 die in Tampa, Florida, domizilierte Precision Ammunition LLC. Der Betrieb stellt Spezialmunition her.

Gründer der Munitionsfabrik im Sonnenstaat ist ein Mann namens Daniel L. Powers. Der Patron wurde nach der Übernahme durch die Schweizer zum «CEO Ruag Ammotec USA» gekürt. Allerdings ist es zu Beginn um den Zukauf durch die Schweizer nicht zum Besten bestellt, geschäftlich wie personell. Die amerikanische Ammotec schreibt im Jahr der Übernahme rote Zahlen, wie ein Bericht der deutschen Zwischenholding dokumentiert.

Der Absatz harzt, die Fertigung stockt. Doch schlimmer als die geschäftlichen Probleme wiegt, dass bei Ammotec USA offenbar getrickst wurde. So kam es 2011 zu verschiedenen widerrechtlichen Handlungen. Konkret: zu fiktiven Munitionsentsorgungsgeschäften und privaten Waffenverkäufen. Der damalige Ammotec-USA-Chef soll aus diesen Aktivitäten unrechtmässige Profite im hohen sechsstelligen Bereich erzielt haben.

Nie belangt

Auch dieser Compliance-Fall war Chef Kubelka gemeldet worden. Aber Powers wurde sowohl straf- wie zivilrechtlich nie von Ruag belangt.

Zu den Machenschaften in Florida schreibt der Rüstungsbetrieb: Der Vorfall in Tampa sei intern von Ruag Ammotec selbst aufgedeckt worden. «Es wurden Massnahmen eingeleitet und das Arbeitsverhältnis mit dem betroffenen Mitarbeiter wurde gekündigt», sagt die Sprecherin. Die Konzernspitze sei über den Vorfall im Bild gewesen.

Dass das Compliance-«Issue» nach einer Akquisition passierte, ist kein Zufall. So spricht die Eidgenössische Finanzkontrolle in ihrem Prüfbericht explizit Übernahmen an, wie jene der Precision Ammunition. Die Bundeskontrolleure bemängeln, dass bei Ruag eine «dezidierte Compliance Due Dilligence» bei Akquisitionen bisher «nicht systematisch» stattgefunden habe. Fast schon prophetisch mutet deshalb das EFK-Fazit an: «Es könnten damit unbewusst Risiken miteingekauft worden sein.»

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(Un)heimliche Geschäfte

Rüstungsdeal Ein Ruag-Mann und der Russland-Chef von Julius Bär staffieren Putins Leibgarde aus. Nun ermittelt die Bundesanwaltschaft.

Nach getaner Arbeit im Kreml nimmt der russische Präsident Wladimir Putin gerne einen Helikopter zu seiner Residenz am Stadtrand Moskaus. Dazu stehen mehrere MIL- und Agusta-Westland-Helikopter des Typs AW- 139 bereit, zum Teil in VIP-Ausführung. Die Heli-Flotte gehört zum Bestand des Sicherheitsdienstes FSO zum Schutz des russischen Präsidenten und der Regierung.

Die präsidentiellen Fluggeräte wurden unter tatkräftiger Schweizer Mithilfe aufgerüstet. Für 15 Millionen Dollar liess der FSO von 2011 bis 2015 die Flotte mit Beobachtungskugeln ausstatten, die jedes Bodenziel bei Tag und Nacht identifizieren können. Nun ermitteln die Bundesanwaltschaft und die russische Antikorruptionsbehörde. Es geht um mutmasslich verdeckte Deals und mögliche Schmiergeldzahlungen.

Beschafft hat die Kugeln eine illustre Truppe von Schweizer Geschäftsleuten, deren vertraulicher Zusammenarbeitsvertrag der «Handelszeitung» vorliegt. Die Männer lieferten auch Sig-Sauer-Handfeuerwaffen und Scharfschützen-Gewehre für mehrere Millionen Dollar an Putins Personenschützer.

Unter den Vertragspartnern befinden sich der heutige Bürochef der Zürcher Privatbank Julius Bär in Moskau – zu Vertragsbeginn noch im Dienste der Liechtensteiner VP Bank – sowie ein Geschäftsleitungsmitglied der Ruag Ammotec, also der Munitionsdivision des bundeseigenen Rüstungsbetriebs. Zwar waren die Lieferungen an sich legal und von allen beteiligten Regierungsstellen abgesegnet. Aber: Allem Anschein nach haben beide Männer – der Julius-Bär-Manager wie der Ruag-Kader – die Waffendeals auf private Rechnung und hinter dem Rücken ihrer Schweizer Arbeitgeber abgewickelt und Kommissonen in Millionenhöhe kassiert.

Mutmassliche Schmiergeldzahlungen

Mehr noch: Im Zuge des Helikopter-Deals sollen Schmiergelder an Mitarbeiter eines russischen Staatsbetriebs geflossen sein, der zum Rosatom-Konzern gehört, sowie möglicherweise auch an Führungspersonal der Leibgarde FSO, obwohl der Zusammenarbeitsvertrag ausdrücklich «Zahlungen an Dritte» ausschloss.

Die Schmiergeldvorwürfe haben inzwischen auch die russischen Behörden aufgeschreckt. Die Antikorruptionsabteilung des Innenministeriums nahm im Winter Ermittlungen auf. Mitte Februar wurde der Bär-Banker in Moskau erstmals befragt. Ein Sprecher der Bank Julius Bär sagt: «Wir haben die Vorwürfe zur Kenntnis genommen und sind daran, diese zu untersuchen.»

Auch die Compliance des bundeseigenen Rüstungsbetriebs – unter Beizug des Wirtschaftsstrafrechtlers Mark Livschitz – wurde aktiv. «Nachdem Ruag durch einen Whistleblower von Vorwürfen Kenntnis erlangt hatte, hat Ruag sogleich interne Untersuchungen eingeleitet und umgehend bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige gestellt», sagt eine Sprecherin. Man kooperiere vollumfänglich mit der Behörde. Bei Ruag wie in Russland war der Whistleblower ein Zuger Waffenhändler, Vertragspartner der beiden inkriminierten Männer.

Kommission fürs Nichtstun

Nukleus der (un)heimlichen Beschaffungsaffäre bildet ein Vertrag von 2010 zwischen vier Parteien: Dem seit Jahrzehnten in Russland wohnhaften Schweizer Banker, seiner russischen (Schein-) Firma, dem Ruag-Manager und dem Zuger Waffenhändler. Das Gespann will gezielt staatliche «Special Forces» wie Antiterroreinheiten oder Leibgarden mit diversem Rüstungsmaterial beliefern. Von Maschinenpistolen über Schutzwesten bis hin zu Beobachtungsgeräten und Mikrodrohnen. Die Zielmärkte sind Russland, die ehemaligen GUS-Staaten und Mexiko. Es geht um viel Geld: Allein in Russland sollen zwischen 50 und 150 Millionen Dollar Geschäftsvolumen drin liegen, schätzt ein Vertragspartner später.

Dazu listen sie zwei Dutzend mögliche Rüstungslieferanten auf. Von Agusta Westland bis zu Zeiss Optronics, das heute Teil der Hensoldt-Gruppe ist. Pikanterweise finden sich auf der Liste auch die Ruag-Töchter Aerospace und Electronics, womit der Verdacht interner Kickbacks an den Ruag-Mann besteht.

Der im Vertrag stipulierte Provisionsschlüssel sieht folgendermassen aus: Auf die Rüstungsgüter schlagen die Geschäftspartner eine Zielmarge von 40 Prozent, wovon der Bär-Mann 20 Prozent erhalten soll und die beiden anderen Involvierten je 10 Prozent.

Kassenwart für Kollaboration

Die Rollen sind klar verteilt: Der Zuger Waffenhändler übernimmt bei Bedarf die Beschaffung und Koordination mit den Produzenten, während der Bär-Banker seine Kundenkontakte, insbesondere in Russland, spielen lassen soll, um an staatliche Aufträge zu kommen. Gleichzeitig soll er mit den Endkunden verhandeln und Kassenwart für die Kollaboration sein. Seltsam mutet die Rolle des Ruag-Manns an. Im Vertrag steht: Aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses habe er weder «die Zeit noch juristisch oder moralisch das Recht», solche Rüstungsgüter zu verkaufen, «aber er hat einen Anspruch auf eine Kommission».

Geld ohne Gegenleistung? E-Mails, die der «Handelszeitung» vorliegen, zeigen, dass der Ruag-Mann der privaten Rüstungspartnerschaft mit seinem beruflichen Netzwerk aktiv zudiente. Der Manager nutzte beispielsweise seine Reisen für Ruag, um private Geschäftskontakte zu knüpfen. In einem E-Mail schildert der Mann einen Besuch der Einkaufsstelle für Polizei und Armee in Mexiko («Dabei sprachen wir auch über andere Bedürfnisse») und gibt hernach Kontaktdaten und mögliche Lieferanten an seine privaten Partner weiter.

8 Millionen Dollar Cash

Zunächst scheint die Zusammenarbeit zu fruchten, vor allem in Russland, wo bald schon der Helikopter-Deal winkt. Die Schweizer treffen sich mit Vertretern des FSO sowie der staatlichen russischen Beschaffungsorganisation Techsnabexport. Oft im «Representative Office» der Bank Julius Bär in Moskau.

Doch als es an den Profitsplit des Helikopter-Deals geht, ist die Partnerschaft dahin. Der Bär-Mann will die vertraglich zugesicherte Zahlung an den Zuger Waffenhändler nicht leisten. Telefongespräche, welche der «Handelszeitung» vorliegen, liefern Hinweise, weshalb plötzlich das Geld fehlt. Möglicherweise haben es Dritte erhalten. Der Bankleiter sagt am Telefon: «Es ist logisch, dass es ein warmer Regen über die ganze Abteilung dort ist, da kriegt jeder etwas…» Gemeint ist Techsnabexport. Er spricht von einer Cash-Zahlung in ungenannter Höhe an den Beschaffungschef. Kein Problem für den Julius-Bär-Mann: «Ich habe 8 Kisten Cash bei mir jetzt gerade… Hier geht alles Cash. Aber das willst du ja nicht schriftlich haben, oder? Sonst bin ich erledigt.»