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Stromhandel – Insidergeschäfte ohne Folgen

Stromhandel Insiderhandel und Marktmanipulation sind in der Schweiz nicht verboten. Der Bund ist seit Jahren untätig.

Vor wenigen Tagen verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zum neuen Energiegesetz. Die Monstervorlage umfasste vom Messwesen über die Strommarktöffnung bis zur Versorgungssicherheit so ziemlich alle heissen Themen der Elektrizitätswirtschaft. Was jedoch fehlte, waren Transparenzvorschriften im Stromhandel. «Im Grundsatz gehören Marktmanipulation und Insiderhandel sanktioniert, aber bislang fehlt in der Schweiz leider die gesetzliche Grundlage dafür», sagt Renato Tami von der Elektrizitätskommission. Die ElCom fordert seit Jahren Strafbestimmungen für Insider- und Marktmissbrauch.

Lückenhafte Marktüberwachung im Stromhandel

Zuletzt wieder in ihrer Vernehmlassungsantwort zum Stromversorgungsgesetz. Darin verlangt die Aufsicht auch «eine gesetzliche Grundlage für die Erhebung von Daten zum Marktplatz Schweiz». Denn bis dato hat die ElCom nur einen eingeschränkten Einblick in den Schweizer Stromhandel. Die Marktüberwachung umfasst nur jene Handelsgeschäfte, bei denen Schweizer Strom in die EU exportiert wird. Dabei stützt sich die ElCom auf Daten ihrer EU-Partner. Wird Strom in die Schweiz importiert beziehungsweise handeln Schweizer Akteure unter sich, dann bleiben diese Trades für die Aufsicht eine Blackbox. Das müsste die Öffentlichkeit kümmern, denn eine lückenhafte Marktüberwachung ohne Sanktionen birgt das Risiko, dass die Preisbildung verfälscht wird. Zum Nachteil der Endkunden.

Während Schweizer Stromhändler also unbehelligt und straflos ihren Geschäften nachgehen können, kennt die EU seit zehn Jahren ein Verbot von Marktmanipulation und Insiderhandel sowie Transparenzpflichten. Diese sogenannte Remit-Verordnung zeigt Wirkung. Die Zahl der aufgedeckten Marktmanipulationen nimmt stetig zu. Die EU spricht empfindliche Geldstrafen aus.

Illegale Leerverkäufe

Ein solches Aufsichtsregime wäre auch hierzulande wünschenswert für die Versorgungssicherheit. Das zeigen Beispiele aus der EU: In Grossbritannien wurden falsche Angaben über die Verfügbarkeit systemrelevanter Kraftwerke gemacht. Und in Deutschland tätigten Händler illegale Leerverkäufe im Regelenergiemarkt, die fast zu einem Blackout führten.

Auf die Frage, weshalb es weiterhin an gesetzlichen Transparenzpflichten mangelt, schreibt das Bundesamt für Energie: Die Remit-Umsetzung sei für eine «spätere Revision des StromVG» geplant gewesen, mit der dann gleichzeitig auch die Umsetzung des Stromabkommens mit der EU erfolgt wäre. Da das Stromabkommen nun «in nützlicher Frist» nicht zustande komme, «sind wir daran, die Lage zu analysieren und dann zu entscheiden, wie das Thema weiter behandelt werden soll».

Ethische Senke

Der frühere ElCom-Präsident Carlo Schmid-Sutter warnte bereits vor sechs Jahren: Wenn an einem Ort regeln verschärft würden, dann gebe es immer Leute, die diesen Regeln auszuweichen versuchen und Standorte suchen, wo solche Regeln noch nicht bestünden. «Dann wird die Schweiz zu einer ethischen Senke.» Inzwischen ist sie es.

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Zank ums Zocken

Stromkonzerne Gemäss einer Studie der HSG schreiben Axpo, Alpiq und Co. mit dem spekulativen Eigenhandel Milliardenverluste. Die Konzerne dementieren hart.

Die letzten zehn Jahre waren für die drei Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW ein Decennium horribilis. Nach der Finanz- und im Zuge der Euro-Krise kollabierte der Strompreis in Europa. Gleichzeitig wertete sich der Franken zur europäischen Einheitswährung auf. Hinzu kamen dirigistische Eingriffe wie die EEG-Umlage in Deutschland, mit welcher der Zubau erneuerbarer Energie wie Photovoltaik und Wind gefördert wurde. Kurzum: Jenes Elektrizitätsbusiness, woran die Ex-Monopolisten fürstlich verdienten, gibt es nicht mehr. Einheimische Produktion mutierte vom lukrativen Exportgut zum Klumpenrisiko. Jene neuen Grosskraftwerke für den Auslandabsatz wie die Pumpspeicher Linth-Limmern (Axpo) oder Nant de Drance (Alpiq) entpuppen sich als Investitionsgräber. Ohne Aussicht auf baldige Rentabilisierung.

Die Stromkonzerne reagierten mit Wertanpassungen beim eigenen Kraftwerkspark und bei den langfristigen Bezugsverträgen. Die Strukturkrise der Stromkonzerne vernichtete unter dem Strich wohl mehr Wert, als die fiskalische Bereinigung der Schwarzgeldvergangenheit die Schweizer Banken kostete. Zwischen 2009 und 2018 musste allein die Axpo rund 6,2 Milliarden Franken abschreiben beziehungsweise zurückstellen. Bei der Alpiq waren es 5,9 Milliarden. Und bei der BKW lag dieser Wert bei rund 900 Millionen Franken.

Umstrittene Zahlen

Die genannten Zahlen stammen aus einer neuen Studie der Universität St. Gallen (HSG) mit dem Titel «Spannungsfeld: Stromversorgung vs. Stromhandel. Herausforderungen für das Management». Das White Paper sorgt für rote Köpfe in der Branche. Bringt die Studie doch einen überraschenden Grund fürs Krisenjahrzehnt der Stromwirtschaft ins Spiel: den Eigenhandel, auch Prop Trading genannt. Also jene spekulativen Handelsgeschäfte mit Elektrizität, die nicht durch eigene Kraftwerkskapazitäten gedeckt sind.

Die St. Galler Studie kommt zum Schluss, dass «in den Jahren 2009 bis 2018 im Rahmen des Prop Trading grosse Schweizer Stromproduzenten Verluste in mittlerer einstellige Milliardenhöhe erlitten». Die HSG-Forscher schätzen bei der Axpo den Verlust über diesen Zeitraum auf 4,6 Milliarden Franken. Bei der Alpiq sind es 1,1 Milliarden und bei der BKW 1,7 Milliarden. Seit 2013 schütten Axpo und Alpiq bekanntlich keine Dividenden mehr aus. «Wir sehen aufgrund der Ergebnisse unserer Analysen die Ursachen primär im spekulativen Eigenhandel», heisst es in der Studie. Denn der Erfolg im Prop Trading falle «nachhaltig negativ» aus.

Latente Gefahr der Quersubventionierung

Verfasst hat das White Paper ein Team um Professor Karl Frauendorfer, der zu Bewertungsmodellen in der Energie- und Finanzwirtschaft an der Universität St. Gallen forscht. Frauendorfer sieht angesichts seiner geschätzten Verluste im Prop Trading «enormen Handlungsbedarf». Es bestehe eine latente Gefahr der Quersubventionierung durch anlagenbasiertes Trading. Der HSG-Professor fordert strikte Trennung und Transparenz zwischen Stromhandel mit eigenen Kraftwerkskapazitäten, Absicherungsgeschäften und spekulativem Eigenhandel. «Es sind Anreizstrukturen für Stromhändler zu überdenken, die dieser strikten Trennung Rechnung tragen», sagt Frauendorfer und fügt an: Nicht alle Verwaltungsräte und GL-Mitglieder der grossen Stromkonzerne würden vertieftes Wissen besitzen, um den Stromhandel mit seiner Unvollständigkeit und den darin versteckten Abhängigkeiten von Preis- und Volumenrisiken adäquat überwachen zu können.

Kopfschütteln bei den Konzernen

Angesichts der gehandelten Mengen ein brisantes Urteil. Die HSG-Studie schätzt nämlich, dass die Alpiq im Eigenhandel mit dem 16- bis 20-Fachen einer Jahresproduktion spekuliert. Bei der Axpo sei es das 8- bis 12-Fache, bei der BKW das 4- bis 8-Fache. Im Handel mit Energiederivaten könne es, so die Studie weiter, zu Inkonsistenzen in der Bilanzen kommen. Konkret überschätze eine Handelspartei ihre verfügbaren Eigenmittel. Für die Jahre 2017 bis 2019 gehen Frauendorfer und Co. bei den drei Stromkonzernen von «einer möglichen Überschätzung des ausgewiesenen Eigenkapitals» von bis zu 38 Prozent aus.

Solche Zahlen, von der Universität St. Gallen erhoben, lösen bei Axpo, Alpiq und BKW Kopfschütteln aus: «Nicht nachvollziehbar», «unverständliche Modellrechnungen», «ungeeignete Kennzahlen», «unrealistische Erlöspotenziale» – so lautet der Tenor aller drei Stromkonzerne auf Anfrage. «Unglaubwürdig ist schon allein die Annahme, dass das Management und der Verwaltungsrat der drei grossen Schweizer Energiekonzerne über zehn Jahre hinweg kontinuierlich Verluste in Millionenhöhe im Eigenhandel zulassen würden – das würde sowohl der betriebswirtschaftlichen Logik wie auch der rechtlichen Verantwortung dieser Organe widersprechen», lässt die Axpo verlauten. Jene von Frauendorfer veranschlagten Einbussen von 4,6 Milliarden Franken seien «schlichtweg falsch». Auch BKW und Alpiq bestreiten die stipulierten Milliardenverluste kategorisch.

Inputs nur marginal berücksichtigt

Die Axpo hält zudem fest: Man betreibe einen profitablen Eigenhandel, es gebe auch keine Quersubventionierung. Der Verzicht auf Dividendenausschüttung sei nicht auf den Eigenhandel, sondern auf die tiefen Erlöse bei der Schweizer Stromproduktion zurückzuführen. Angesprochen auf die grossen Volumina im Eigenhandel, hält der Konzern weiter fest, dass die Grösse des Handelsvolumens kein geeignetes Risikomass sei. Und die Alpiq widerspricht der Überschätzung des Eigenkapitals: Der Vorwurf von Inkonsistenzen in der Bilanzierung der Energiederivate entbehre jeder Grundlage. Man halte sich an geltendes Recht und Buchungsstandards. Die BKW kritisiert, dass man die Autoren der Studie «schon mehrfach und teilweise detailliert auf fehlerhafte Annahmen und Fehlschlüsse» hingewiesen habe. Diese Inputs würden in der aktuellen Studie «nur marginal berücksichtigt».

HSG-Professor Frauendorfer betont dagegen, dass «unsere Zahlen, die wir im August 2019 publiziert haben, nie von den betroffenen Unternehmen korrigiert wurden. Diese Zahlen sind sehr konservativ gerechnet. Der Verlust aus dem Prop Trading dürfte über die zehn Jahre wohl eher gegen 10 Milliarden Franken tendieren.» Sein Lehrstuhl forsche seit 2014 auf dem Thema und habe immer alle betroffenen Parteien über den Stand seiner Erkenntnisse informiert. Er sei unabhängig und allein der Wissenschaft verpflichtet.