Nationalbank Die passive Anlagestrategie der SNB gerät ins Visier der Politik: Gefordert werden Nachhaltigkeitsziele für ihre Milliarden.
Seit 2015 tobt ein Bürgerkrieg im Jemen mit mehr als 10 000 zivilen Opfern. Für Raytheon ist der Konflikt ein Bombengeschäft. Der US-Rüstungskonzern lieferte dank gütiger Mithilfe der Trump-Administration der saudischen Kriegspartei bislang Präzisionsbomben im Wert von über 3 Milliarden Dollar, wie aktuelle Recherchen der «New York Times» zeigen. Die lukrativen Rüstungsdeals auf der Arabischen Halbinsel halfen, die Raytheon-Aktien zu befeuern. Die Papiere haben sich in der Zeitspanne bis zur Corona-Krise im Preis mehr als verdoppelt.
Am Kurserfolg partizipiert hat auch die Schweizerische Nationalbank. Die SNB hält nämlich Raytheon-Aktien zum aktuellen Gegenwert von 130 Millionen Dollar. Insgesamt belaufen sich die «Holdings der Swiss National Bank» an US-Rüstungsfirmen auf gegen 1,5 Milliarden Dollar, wie der jüngste Quartalsbericht der Börsenaufsicht SEC zeigt. Und auch im Big Business mit fossilen Brennstoffen mischt die SNB kräftig mit: Sie hält unter anderem Anteile an den zehn grössten Öl- und Gasgesellschaften der USA im Umfang von über 1,3 Milliarden Dollar.
Nationalbank – Es formiert sich zarte Kritik
Doch nun formiert sich zarte Kritik an der Anlagepolitik der SNB. Der Nationalrat berät in der Sommersession ein Postulat der Wirtschaftskommission mit dem Titel «Nachhaltigkeitsziele für die Schweizerische Nationalbank». Darin fordert eine Kommissionsmehrheit einen Bericht vom Bundesrat, der unter anderem aufzeigen soll, «welche proaktive Rolle die SNB in der Koordination von Klimamassnahmen im Finanzsektor» einnehmen kann. Der Bundesrat unterstützt das Postulat: «Möglichkeiten und Grenzen von Nachhaltigkeitszielen im Rahmen der Anlagepolitik der SNB» seien zu analysieren und zu diskutieren. Nicht zuletzt, weil Klima- und Umweltrisiken im Zusammenhang mit der SNB vermehrt debattiert würden.
Marc Chesney leitet das Institut für Banking und Finance an der Universität Zürich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Umweltökonomie. Für ihn ist klar: «Die Nationalbank sollte nachhaltig anlegen.» Die Schweiz habe sich mit der Ratifikation des Pariser Klimaabkommens schliesslich dazu verpflichtet, die Finanzflüsse entsprechend anzupassen. «Dieser Grundsatz gilt auch fürs Anlageportfolio der Nationalbank, das sich nach den Klimazielen, also einer Erwärmung um maximal 1,5 bis 2 Grad, zu richten hat.» Konkret bedeute dies für Chesney, dass die SNB den Ausstieg aus Anlagen in Öl- und Gaskonzerne planen sollte. «Ohne klimafreundliche Investitionspolitik drohen auf dem gigantischen Fremdwährungs-Portfolio der SNB Transitionsrisiken, beispielsweise massive Bewertungsverluste auf fossilen Anlagen», prophezeit Chesney. Die jüngsten Verwerfungen beim Ölpreis seien nur ein Vorgeschmack auf schlummernde Klimarisiken in der SNB-Bilanz, warnt der Professor.
Nicht öffentliche Schwarze Liste
Die Nationalbank dagegen verteidigt ihre Anlagepolitik: Man orientiere sich mit dem passiven Ansatz für Aktien an der Realität der Finanzmärkte und der Wirtschaftsstruktur. «Die Anlagepolitik der SNB hemmt einen Strukturwandel somit nicht, sondern ein solcher Wandel hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft reflektiert sich mit dem gewählten Ansatz automatisch in ihrem Portfolio.» Es sei nicht Teil des Auftrags der SNB, Struktur- oder Sektorenpolitik zu betreiben und damit wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Wandel zu befördern oder zu behindern. Dies zu tun, liege im Verantwortungsbereich der Politik.
Ganz so strikt handhabt sie die Passivität dann aber doch nicht. Die SNB führt eine Ausschlussliste an Unternehmen, in die sie bewusst nicht investiert. Diese «Blacklist» veröffentlicht sie allerdings nicht. Nur die groben Kriterien sind bekannt: Man erwerbe keine Aktien von Unternehmen, die grundlegende Menschenrechte massiv verletzen, systematisch gravierende Umweltschäden verursachen oder in die Produktion international geächteter Waffen involviert sind. Unter geächteten Waffen verstehen die Nationalbanker um Präsident Thomas Jordan B- und C-Waffen, Streumunition und Personenminen. Zusätzlich erwerbe man auch keine Aktien von Unternehmen, die in die Produktion von Nuklearwaffen für Staaten involviert sind, die nicht zu den legitimen Atommächten gemäss UN zählen.
Die schlimmsten Unternehmen sortiert die SNB also aus. Sabine Döbeli, Chefin von Swiss Sustainable Finance (SSF), würde sich jedoch mehr wünschen: Einzelne Klimasünder wie Ölsand-Förderer oder Kohlestrom-Konzerne aus dem SNB-Anlageuniversum auszuschliessen, mache durchaus Sinn: «Da besteht durchaus noch Nachholbedarf.» Ansonsten rät die ESG-Expertin aber zur Zurückhaltung gegenüber einer klar zielgerichteten Nachhaltigkeitsstrategie: «Die Aufgabe der SNB ist in erster Linie, für Währungs- und Preisstabilität zu sorgen, und nicht, aktive Klimapolitik zu betreiben.» Sie warnt deshalb davor, die Sustainable-Strategien anderer europäischer Zentralbanken mit jener der Nationalbank zu vergleichen: Ein solch grosses Devisenportfolio wie jenes der SNB zu bewirtschaften, verlange eine andere Herangehensweise. Dennoch gebe es durchaus Möglichkeiten, auch im passiven Währungsreserve-Portfolio der SNB gewisse Anlageakzente zu setzen. «Da sollte die SNB ihren Spielraum noch besser ausnutzen.» Die SSF-Chefin nennt passive CO2-reduzierte Anlagen auf Basis von Klimaindizes, die Klimarisiken reduzieren helfen und dabei kaum Nachbildungsfehler gegenüber klassischen Börsenindizes aufweisen. «Passiv und nachhaltig zu investieren, schliesst sich nicht aus», sagt Döbeli.